Vor einigen Jahren durfte ich im Ahrtal an einer Weinprobe teilnehmen. Diese Verkostung begann ungewöhnlicherweise mit einer Übung: In abgeklebten und abgedeckten Bechern befanden sich Stücke verschiedener Zitrusfrüchte. Die Aufgabe bestand darin, über den Geruch festzustellen, um welche Frucht es sich handelt – Voraussetzung dafür, anschließend im Wein die unterschiedlichen Aromen wiederzuentdecken und herauszuschmecken.
Mit unserem Geschmackssinn zu identifizieren, was wir essen – das ist eine Fähigkeit, die aus dem Essen ein Erlebnis machen kann. Das ist auch eine Fähigkeit, die geschult werden kann. Wenn katholische Christen zusammen das Mahl Jesu feiern, steht im Mittelpunkt ebenfalls das Essen. Wir sehen Brot und Wein. Wir essen Brot und trinken Wein. Wir schmecken ein auf spezifische Weise hergestelltes Brot und schmecken Wein. Aber tatsächlich nehmen wir den Leib und das Blut Jesu zu uns. Ist das mehr als eine Vorstellung und eine Behauptung?
Symbolische Bedeutung oder wirkliche Veränderung?
Diese Frage hat die Christen immer beschäftigt. Im Zentrum geht es dabei immer um die Worte Jesu, die er gesprochen hat beim letzten Mahl mit seinen Jüngern. Da nahm er das Brot und sagte davon: „Das ist mein Leib!“ Zum Auftrag hat er es den Jüngern gemacht, diese Feier immer wieder zu begehen und sich dabei bewusst zu sein, dass sich dadurch eine Wandlung vollzieht und aus dem Brot sein Leib wird. Was bedeutet das? Hat er damit dem Brot eine neue, symbolische Bedeutung gegeben? Heißt Wandlung also, dass Brot und Wein nun in einem veränderten Zusammenhang stehen und einer speziellen Absicht dienen, die Jesus mit diesen Zeichen eingeschrieben hat? Oder verändert sich da wirklich etwas an Brot und Wein?
Wir kennen das alle: Gegenstand ist nicht gleich Gegenstand. Ein genau identisches, neues Stofftier kann dem Kind nicht dasjenige ersetzen, das es über viele Jahre mit sich getragen hat. Eine kleine Dose, die in sich wertlos ist, wird wertvoll: denn sie hat meinem Papa gehört und sie erinnert mich an ihn. Das legt eine Spur zum Verständnis eines Sakraments: Ein Gegenstand, ein Element aus der Natur, ein Ding dieser Welt wird uns zum Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen wird und teilt uns diese Liebe mit.
Jesu Liebe macht den Unterschied
Bei der Wandlung von Brot und Wein in der Heiligen Messe, im Sakrament der Eucharistie, geht das noch tiefer. Materielle Dinge können – wie gesehen – für uns große Wichtigkeit erlangen. Wodurch? Durch Erinnerungen, Erlebnisse, letztlich durch die Liebe, die uns mit einem Menschen verbindet und in dessen Nähe uns dieser Gegenstand erneut bringt. Bei Brot und Wein müssen wir jedoch von der anderen Seite ausgehen, von Jesus, dem Gottessohn. Seine unvorstellbar große Liebe zu uns – eine Liebe bis zum Tod und darüber hinaus – und sein Wunsch, allezeit bei uns zu sein, verändern nicht nur den Zusammenhang und die Deutung von Brot und Wein, sondern machen sie zum Mittel seiner direkten Gegenwart, zu Verbindung und Begegnung mit uns. Seine Liebe will das und sie macht den Unterschied.
Es ist nicht verwunderlich, dass darüber viel nachgedacht und auch viel gestritten wurde. Berühmt ist eine Diskussion, in der sich Martin Luther mit dieser Frage der Realpräsenz Jesu in der Eucharistie auseinandersetzte. Mit Kreide soll er die Worte Jesu „Das ist mein Leib“ auf die Tischplatte geschrieben haben und gegen alle anderen Deutungen seines Konkurrenten immer wieder mit dem Finger auf das entscheidende Wort „ist“ geklopft haben.
Was bedeutet der Empfang dieses Brotes?
Das Brot ist Jesu Leib, der Wein ist Jesu Blut. Ist das wichtig für einen Christen des 21. Jahrhunderts? Zum einen: Direkte Nähe eines Freundes, einer geliebten Person – das macht einen Unterschied! Zum anderen: Der gläubige Christ ist es gewohnt, vor dem Tabernakel in der Kirche, dem Ort, in dem das gewandelte Brot aufbewahrt wird, eine Kniebeuge zu machen, und auf diese Weise Jesus zu ehren, den gegenwärtigen Herrn zu begrüßen. Mit dem Empfang dieses Brotes ist Jesus aber ja sozusagen in mir – und auch in dem anderen neben mir, der ebenfalls dieses Brot isst.
Das heißt: Auch in ihm wohnt Jesus und durch ihn begegnet er mir. Im Grunde könnten wir also nach diesem Mahl auch eine Kniebeuge voreinander machen. Denn Jesus kommt uns leiblich nahe und schenkt uns seine Liebe in diesem Brot, dass etwas von seinem Leben in uns lebendig wird, wir seine Liebe weitertragen. Es gilt eben auch hier: Liebe geht durch den Magen.