Vor Ort · Vier Monate mit dem Fahrrad durch Europa

Wie einen das Ungewisse Freiheit erfahren lässt

Im April 2022 kündigte Simon Reif seinen Arbeitsplatz. Dann brach er mit wenig Gepäck und seinem Fahrrad auf zu einer viermonatigen Reise durch Europa. Der 22-jährige Schreiner startete seine Reise aus dem Landkreis Eichstätt hinein ins Ungewisse. Insgesamt war er in zehn Ländern, erlebte sehr viel und kam einige Male aus seiner Komfortzone raus. Mit viel Mut und Selbstvertrauen meisterte er auch größere Schwierigkeiten auf seiner Reise. Mit Credo hat Simon über seine Reise gesprochen.

von Eva Fock · 29.06.2023

Norwegen. Foto: privat

Credo: Wohin ging deine Fahrradreise?

Simon: Meine Reiseroute führte mich durchs Allgäu in Richtung Bodensee, durch Österreich und die Schweiz nach Dijon in Frankreich. Das Zentralmassiv Frankreichs durchquerte ich über Clemant Ferrant und Bordeaux bis nach Arcachon an der Atlantikküste. Danach fuhr ich den portugiesischen Jakobsweg von Santiago bis nach Porto. Von Porto aus flog ich nach Stavanger in Norwegen und fuhr über Dänemark, Polen und Tschechien zurück nach Hause.

Credo: Wie kam der Entschluss zu kündigen und aufzubrechen?

Simon: Nach meiner Ausbildung merkte ich, dass ich ein Abenteuer erleben will, um aus dem Alltag rauszukommen. Mein Bruder war zwei Jahre zuvor auf einer ähnlichen Reise und machte mich damals sehr neugierig. Um weniger Zeitdruck zu haben, beschloss ich, zu kündigen und einfach loszuradeln. Es stand schon im Vorhinein fest, dass ich ab September 2022 in Augsburg studieren würde. Allerdings war es trotzdem in gewisser Weise ein Aufbruch ins Ungewisse, ohne bestimmte Route oder festes Ziel.

Credo: Gab es Stolpersteine auf deiner Reise, hat etwas gar nicht geklappt?

Simon: Die ersten Wochen waren sehr anstrengend. Das Wetter war oft schlecht und besonders in den Nächten war es anfangs ziemlich kalt. Zudem wusste ich oft selbst nicht, was ich gerade will. Doch mit der Zeit lernte ich, mich zurechtzufinden. Mit dem minimalistischen Lebensstil sowie der meist etwas einseitigen Ernährung mit Nudeln und Haferflocken kam ich sehr gut zurecht.

Durch so viele Länder mit unterschiedlichen Sprachen zu fahren, kann Schwierigkeiten mit der Kommunikation mit sich bringen. Wenn sich zwei Menschen unterhalten wollen, findet man immer einen Weg – meist mit Händen und Füßen oder der Hilfe von Apps. Dabei können allerdings auch lustige Sachen rauskommen, besonders, wenn man versucht, französisch zu sprechen. Bei einem Bäcker in Bergerac wollte ich beispielsweise mal ein Croissant bestellen und bekam eine Cola.

Links: Miradoiro de Redondela, Spanien . Rechts: Preikestolen, in Norwegen. Fotos: privat

Credo: War es eine Herausforderung, alleine unterwegs zu sein?

Simon: Auf so einer Reise ist man nie wirklich alleine. Ich lernte viele nette, hilfsbereite Menschen kennen und fand neue Freunde. Auf den Jakobswegen besuchte ich oft die typischen Pilgerherbergen, in denen man Menschen aus aller Welt trifft und sich gegenseitig Tipps für die weitere Reise gibt. Dort saß ich sozusagen mit der ganzen Welt an einem Tisch. Andererseits habe ich es auch sehr genossen, streckenweise mal allein zu sein.

Ein Beispiel einer besonderen Begegnung: Als ich von Norwegen nach Dänemark kam, wollte ich auf dem Campingplatz neben der Fährstation übernachten. Es war schon 21 Uhr und ich war ziemlich erschöpft. Leider war kein Platz mehr frei. So versuchte ich mein Glück bei einem Haus etwas außerhalb der Ortschaft mit einem großen Garten. Ich klopfte an der Tür, stellte mich vor und fragte höflich auf Englisch, ob ich auf dem Grundstück für eine Nacht mein Zelt aufschlagen könnte. Der ältere Herr war sehr freundlich und sagte, dass es kein Problem wäre. Als er mich zu einem Platz führte, kamen wir ins Gespräch über die Tour de France, bei der damals ein dänischer Fahrer in Führung war, und die Arbeit – er war auch Schreiner.

Als ich mein Zelt aufbauen wollte, meinte er: „Du bist ein freundlicher Kerl, du kannst gerne in meinem Gästezimmer schlafen. Ist bestimmt eine gute Abwechslung zu deinem Zelt.“ Danach tranken wir noch ein Bier miteinander, hörten Schallplatten und redeten über Reiserfahrungen. Am nächsten Tag empfahl er mir eine Route zur Weiterfahrt und wir tranken zum Abschluss einen selbstgemachten Likör. Sein Zitat zu Dänemark: „In Dänemark ist es 300 Tage im Jahr windig, die restlichen Tage haben wir Sturm!“ und er hatte Recht.

Credo: Was ist das Absurdeste, das du auf der Reise erlebt hast?

Simon: Auf meinem Flug nach Norwegen verlor die Airline mein Fahrrad samt Gepäck und ich musste mich neu ausrüsten. Mir kam kurz der Gedanke, abzubrechen, den vergaß ich allerdings schnell wieder. Per Couchsurfing fand ich Unterkunft für vier Nächte bei einem gebürtigen Australier. Er zeigte mir die Stadt Stavanger und empfahl mir ein paar Wanderungen für die Zwischenzeit.

Vergeblich wartete ich auf mein Gepäck. Mit Hilfe einer sehr netten Verkäuferin in Egersund und einer norwegischen Fischerfamilie kaufte ich ein gebrauchtes Fahrrad. Endlich konnte meine Reise weitergehen! So entwickelte sich mein Aufenthalt in Norwegen, den ich in den ersten Tagen abbrechen wollte, zu einer der besten Zeiten der kompletten Reise. Norwegen ist ein wunderschönes Land – besonders wenn es nicht regnet.

Credo: Inwiefern hat dich die Reise verändert?

Simon: Trotz einiger Schwierigkeiten war die große Reise rundum eine positive Erfahrung für mich. Ich entwickelte währenddessen die Zuversicht, mit jeder Situation zurechtzukommen – auch herausfordernde. Auf der Reise musste ich ständig Entscheidungen treffen, wodurch ich nun ein gutes Gefühl habe, mich auf mich selbst zu verlassen. Meine Lebenseinstellung wurde optimistischer und ich bin offener für neue Kontakte und Erfahrungen. Der Aufbruch ins Ungewisse hat mich herausgefordert und mir gleichzeitig ein unvergleichliches Gefühl der Freiheit gegeben. Zudem habe ich es geschafft, knapp 10.000 Kilometer Fahrrad zu fahren, ohne einen Platten zu haben!

Ich kann es nur jedem empfehlen, solch eine Erfahrung zu machen. Die Eindrücke dieser Reise werde ich nie vergessen. Allerdings bin ich mit der Tour sowohl aus meinem Alltag als auch meiner Komfortzone ausgebrochen und würde jeder jeden Tag so eine Reise machen, wäre sie nichts Besonderes mehr!

Credo: Vielen Dank für das Gespräch.