Vor Ort · Hiking in Alaska

Orientierung abseits der Wege

Wir schreiben den 7.7.2013 – elf junge Männer, allesamt Pfadfinder, haben den Plan gefasst, einen seit 30 Jahren nicht mehr bestiegenen Berg im Grenzgebiet zwischen Kanada und Alaska zu besteigen, Mount Ölbermann. Die Herausforderung: Orientierung ohne Navi.

von P. Peter Salzer · 28.02.2023

Peter Salzer unterwegs mit Freunden im Grenzgebiet zwischen Kanada und Alaska. Bild: Privat.

Der in Pfadfinderkreisen legendäre Berg hat eine lange Anreise. In Kanada angekommen fahren wir zuerst ca. 2.000 km Autostraße – per Anhalter, jeweils in Zweiterteams. Jeder hat eine schwarz-weiß kopierte Mini-Autokarte im A4-Format im Gepäck. Ja, wir schaffen das ohne Navi!

Schließlich haben wir die Grenze nach Alaska passiert. Wir starten mit einem aufblasbaren Schlauchboot über den eiskalten Gletscherfluss, die Verpflegung für eine 11-Tagestour im 25 Kilo schweren Rucksack. Anschließend geht es mit Hilfe einer alten Goldgräberkarte nach Norden in Richtung Biebersee. Anfangs kann man sich auf der ehemaligen „Straße“ noch gut orientieren. Allerdings ist der Weg völlig zugewachsen. Umgefallene junge Erlen liegen kreuz und quer und überall ist der Teufelsknüppel, eine Pflanze mit längeren Stacheln, die man sich am Abend aus den Händen ziehen muss.

Pfadfinder in den Bergen von Alaska
Bildkollage mit altem Kartenpapier als Himmel. Bild: Privat.

Durch Gestrüpp und Urwald

Um dem ehemaligen Straßenverlauf folgen zu können, braucht es einen „Spurer“, der sich mit Handschuhen einen Weg über,unter und durch die Vegetation bahnt. Abends wird das Essen in großen Drybags „gebearbaggt“: Es wird bärensicher in fünf Metern Höhe, zwei Meter vom Hauptstamm entfernt, aufgehängt. Dann versammeln wir uns ums Lagerfeuer, kochen, versuchen unsere Kleidung ein bisschen zu trocken, schlagen unsere Zelte auf und kriechen müde in den Schlafsack.

Die nächsten vier Tage kämpfen wir uns weiter durch den Urwald. Anhand der Karte können wir verfolgen, dass wir nicht mal einen Kilometer in der Stunde schaffen. Mehrmals überqueren wir Flüsse aus den Seitentälern, die aus dem Sattel zwischen zwei Bergrücken hervorsprudeln. Oft ist der Wald so dicht, dass dies der einzige Anhaltspunkt ist, mit dem wir uns zurechtfinden können. Peilt man einen bekannten Berggipfel mit dem Kompass an, so kann man seinen Standort bestimmen. GPS hat keiner dabei. Immer wieder kommen wir von der alten „Goldgräberstraße“ ab – in dichteres Gestrüpp, in Felsabhänge: Dann ist der einzige Fortschritt das Umkehren und Suchen des richtigen Weges.

Über die Baumgrenze

Aufgrund unseres mäßigen Tempos beschließt die Gruppe, die nächsten Tage nicht mehr die „Straße“ durch das Urwaldgestrüpp zu nehmen, sondern den direkten Weg über die Berge zu finden. Dazu müssen wir erst 1.000 Höhenmeter aufsteigen und hoffen, anschließend oberhalb der Baumgrenze, entlang der schneebedeckten Gipfel, schneller voranzukommen. Schließlich ist unser Essensvorrat begrenzt. Wir kämpfen uns die steilen Hänge hoch, ab und zu markieren wir einen Baum für den Rückweg, dann folgen wir einem Bachlauf. Nach mehreren Stunden und zig Umwegen haben wir es schließlich auf den Berg geschafft und werden mit einer umwerfenden Aussicht belohnt.

Zur Orientierung beim Rückweg werden unterwegs Steinmännchen aufgebaut. Bild: Privat.

Von Mücken geplagt fallen wir müde in den Schlafsack, um am nächsten Morgen frühzeitig aufzustehen: Fünf Uhr früh geht es los. Oberhalb der Baumgrenze kommen wir deutlich schneller voran, außerdem haben wir nur Tagesgepäck dabei. Hin und wieder bauen wir ein Steinmännchen, um den Rückweg zu markieren. Weitere Weganhaltspunkte bieten uns die umliegenden, strahlend weißen Gipfel. Nach sieben Stunden sind wir schließlich doch am Ziel. Auf dem Gipfel angekommen schmettern wir ein „Großer Gott wir loben dich“, schießen ein paar Gipfelfotos, stärken uns mit einem Müsliriegel und machen uns auf den Rückweg. Entlang der Bergkette, die Sonne nun im Rücken, immer entlang der Steinmännchen nach Osten. Nach 12 Stunden haben wir es dann tatsächlich geschafft.

Angekommen auf dem Gipfel des Mount Ölbermann: Bild: Privat.

Abstieg – wo ist der Rückweg?

Wir legen einen Ruhetag in malerischer Landschaft ein, bevor wir uns dann am nächsten Tag an den Abstieg wagen. Tatsächlich sieht von oben alles anders aus. Mehrmals verlieren wir unsere Aufstiegsspur, bis wir schließlich völlig ratlos im steilen Wald stehen. Wir machen eine Kette. Alles wirkt unbekannt, keiner kann unseren Weg finden. Was nun? Sollen wir wieder alles hoch laufen und es nochmal versuchen? Oder ohne Weg weiter absteigen, bis es dann doch nicht mehr geht? Was, wenn einer abrutscht? Wir schicken ein paar Stoßgebete zum Himmel und suchen weiter nach einem Anhaltspunkt.

Schließlich geschieht das Unglaubliche. Ein Pfadfinder entdeckt einen Klopapierhaufen, woraufhin alle antreten und man sich erinnert, wo auf dem Weg man sein müsste. „Ja, hier war in der Nähe das Mittagessen“ und schon fällt uns der Weg wieder ein. Im Tal angekommen stellen wir fest, dass wir für den Rückweg nur ein Drittel der Zeit brauchen: Nachdem elf Pfadfinder durch den Urwald getrampelt sind, kann man eine deutliche Wegspur erkennen und mit deutlich leichterem Gepäck geht das Ganze dann auch nochmal schneller.

Nach neun Tagen kommen wir wieder zum Fluss und setzen in die Zivilisation über. Es ist so ungewohnt, festen Boden in Form einer Straße unter den Füßen zu haben und damit gleichzeitig eine eindeutige Richtung, in die wir gehen können. Am Abend besuchen wir noch eine Gletscherhöhle in der Nähe. Einheimische Jungs haben uns den Einstieg unter den Gletscher gezeigt, bevor wie per Autostop wieder nach Kanada trampen.