Vor Ort · In der Gemeinschaft Comunione e Liberazione

„Gott gibt sich in der Wirklichkeit zu erkennen“

Agnes Rugel, geboren 1994, ist seit ihrer Geburt Mitglied der kirchlichen Laienbewegung Comunione e Liberazione (CL). Sie hat die Wirklichkeit als Ort entdeckt, an dem sich ihre Beziehung zu Gott abspielt. Wir haben mit ihr über die Bedeutung des Themas „Wirklichkeit“ für sie und ihre Gemeinschaft gesprochen und ob man Echtes von Unechtem heute überhaupt noch unterscheiden kann.

von Veronika Striegel · 27.01.2022

Junge Frau mit blonden lockigen Haaren und schwarzer Winterjacke vom Wind verweht am Meer
Agnes Rugel. Foto: privat

Credo: Agnes, du bist Mitglied der kirchlichen Laienbewegung Comunione e Liberazione (CL). Was ist das?

 Wir sind Personen, die im Glauben wachsen wollen. Uns verbindet der Wunsch, das in dem Charisma zu tun, das Don Luigi Giussani, der Gründer der CL, empfangen und weitergegeben hat. Zentral sind für uns folgende drei Punkte: Erstens, sich dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes immer wieder zuzuwenden. Wir haben eine Leidenschaft dafür, die Bedeutung dieses Geheimnisses im alltäglichen Leben zu entdecken, es miteinander zu teilen und es zu verkünden.

Zweitens verfolgen wir die Methode, nicht locker zu lassen, dem eigenen Wunsch nach dem Schönen, Wahren und Guten auf den Grund zu gehen und dabei den Inhalt des christlichen Glaubens deutlich vor Augen zu haben. Und uns dann schließlich Rechenschaft darüber abzulegen, wie beide zusammenhängen. Schließlich geht es drittens um ein gemeinschaftliches Leben, das auf Gottes Versprechen seiner Gegenwart unter uns verweisen will.

Die Gemeinschaft CL ist eine große internationale Gruppe und reich an Initiativen. So sind Ordensgemeinschaften, Bruderschaften und andere Formen geweihten Lebens daraus hervorgegangen. Allerdings stimmt auch, was Giussani 2002 sagte: „Wir sind noch am Anfang, immer!“ (Luigi Giussani, Brief an die Fraternità di Comunione e Liberazione, S. 1, 22.2.2002), da es um die ständige Bekehrung jedes Einzelnen geht.

Credo: Warum bist du in dieser Gemeinschaft und wie sieht dein persönlicher Alltag innerhalb dieser aus?

Der Gemeinschaft begegnet bin ich durch meine Eltern und durch diejenigen, die die Jugendgruppen leiteten. Freizeiten für Familien, Kinder und dann als Jugendliche und Studentin waren und sind für mich Momente im Jahr, in denen ich sehr viel Schönheit und Großartiges sehe und erlebe. Ich wünschte mir, dass mein Leben auch großartig sein möge, und in CL fand ich Vorbilder und Freunde, die mich auf meinem Weg begleiten, diesem Wunsch zu folgen.

Dieser Weg hat konkrete Hilfestellungen wie die Sakramente der Beichte und Eucharistie. Einmal die Woche treffe ich mich hier vor Ort in München mit meinen Freunden zum Seminar der Gemeinschaft. Das heißt, wir berichten von Erfahrungen aus unserem Alltag mit dem Ziel, Christus im eigenen Leben anzuerkennen. Dazu lesen wir einen Text, momentan „Spuren christlicher Erfahrung in der Geschichte“ von Giussani (Luigi Giussani, Stefano Alberto, Javier Prades, Spuren christlicher Erfahrung in der Geschichte, 2019).

Pilger in Köln auf der Rheinbrücke mit Dom im Hintergrund
Links: Kreuzweg der Gemeinschaft Comunione e Liberazione in Köln 2009. Rechts: Wanderung der Jugendlichen bei der Sommerfreizeit in Corvara 2019. Fotos: Chiara Savoldelli
Junge Erwachsene bei einer Wanderung durch die Wälder in Rückansicht

Credo: Wie definiert ihr „Wirklichkeit“ und was ist für euch so relevant an diesem Thema?

CL veröffentlicht Weihnachten und Ostern immer ein Plakat mit ein bis zwei Zitaten, die die zwei großen Geheimnisse der Geburt und der Auferstehung Christi kommentieren. Auf dem Weihnachtsplakat 2021 stand: „Als Johannes und Andreas Christus trafen, ging ihnen nicht auf, was das Jenseits oder das Paradies ist. Aber sie standen vor etwas, das wie ein Paradies war, ein Stück Paradies, etwas ganz Anderes, und doch schon hier gegenwärtig. Glauben bedeutet, eine Gegenwart annehmen“ (Giussani).

Gott gibt sich in der Wirklichkeit zu erkennen und dort kann ich Ihn anerkennen. Es sind Ereignisse in meinem Leben, die mich gewiss sagen lassen, dass es Seine Gegenwart jetzt gibt. Die Wirklichkeit hat dabei eine wichtige Bedeutung, ist aber gleichzeitig nicht alles, sondern schickt mich auf die Suche nach mehr, was mich zu Gott wenden kann.

Credo: Hat man als Mitglied der CL einen anderen Bezug zur Wirklichkeit als Nicht-Mitglieder?

Der Bezug zur Wirklichkeit ist zumindest essentiell, womit aber einfach ein Grundaspekt der christlichen Verkündigung unterstrichen wird: dass Gott Mensch geworden ist und sich in unsere Dimensionen von Zeit und Ort begeben hat, um zu bleiben. Ich habe die Wirklichkeit als Ort entdeckt, an dem sich die Beziehung zu Gott abspielt.

Giussani meinte auf die Frage, wie er bete: „Mein Gebet ist die Liturgie und das ständige Wiederholen einer Formel: Veni Sancte Spiritus, veni per Mariam. Komm Heiliger Geist, komm durch die Muttergottes, mach dich durch den Schoß, das Fleisch Mariens, gegenwärtig“ (Dino Boffo, „Ich bin nichts, Gott ist alles“. Interview mit Don Luigi Giussani, S. 52, 2002). Die verschiedensten alltäglichen Situationen sind Anlass für dieses Flehen um Seine Gegenwart.

Podiumsdiskussion mit Zuschauern
Podiumsdiskussion bei der Kulturveranstaltung Rhein-Meeting, 2019. Foto: Chiara Savoldelli

Credo: In einer Welt der Fake-News, Verschwörungstheorien und gephotoshopten Instagram-Profile ist es oft gar nicht mehr möglich, Echtes von Unechtem zu unterscheiden. Wie sollten wir damit am besten umgehen?

2021 fand das jährliche Rhein-Meeting online statt. Das Thema der Kulturveranstaltung in Köln war: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Martin Buber). Es wurde deutlich, dass Begegnungen Momente außergewöhnlicher Wendepunkte sein können.

Daher würde ich sagen, man sollte persönliche Begegnungen suchen. Das heißt in Bezug auf die Frage, das Gespräch mit Personen suchen, die durch Wissen und einen vernünftigen Standpunkt helfen, die Suche nach der Unterscheidung von Echtem und Unechtem weiterzuverfolgen, bis man zu einem Urteil kommt, das man guten Gewissens vertreten kann.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch.