Thema · Geistliche Gemeinschaften
Geistliche Gemeinschaften
von Pater Thomas Schuster OP · 16.06.2017
Zur Pfingstvigil in Rom würdigen Päpste regelmäßig den besonderen Beitrag der neuen kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften zur Sendung der Kirche.
Johannes Paul II. lobt die neuen Gemeinschaften
Im Nachklang zu einer europäischen Bischofssynode schrieb der mittlerweile heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. in seinem Schreiben „Ecclesia in Europa“ (28. Juni 2003): Die neuen kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften helfen „den Christen, radikaler nach dem Evangelium zu leben; sie sind eine Wiege verschiedener Berufungen und bringen neue Formen gottgeweihten Lebens hervor. Sie fördern vor allem die Berufung der Laien und führen dazu, dass sie in den verschiedenen Lebensbereichen zum Ausdruck kommt.
Sie begünstigen die Heiligkeit des Volkes; sie können Botschaft und Aufforderung für diejenigen sein, die sonst der Kirche nicht begegnen. Häufig unterstützen sie den ökumenischen Weg und eröffnen Möglichkeiten für den interreligiösen Dialog; […] sie sind sehr behilflich dabei, in der Kirche Lebendigkeit und Freude zu verbreiten.“
Geistlicher Aufwind nach dem Konzil
Die Mehrzahl der Gemeinschaften und Bewegungen entstand bereits vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Schönstatt-Bewegung und Legion Mariens in der Zwischenkriegszeit, die Fokolar-Bewegung während des Zweiten Weltkriegs. Durch das Konzil haben aber viele Bewegungen und geistliche Gemeinschaften Aufschwung und Inspiration erhalten – vor allem durch die Betonung des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen und der Bedeutung einzelner Begabungen und Charismen für den Aufbau des Leibes Christi.
Die Terminologie „geistliche Bewegungen“, „neue geistliche Bewegungen“, „geistliche Gemeinschaften“ sind keineswegs einheitlich. Dies braucht nicht weiter zu verwundern, denn es gehört ja gerade zum neuen Aufbruch, dass er nicht einfachhin in klassische Termini unterzubringen ist.
Neue geistliche Bewegungen sind nach Kardinal Kasper „mehr oder weniger festgefügte oder auch lockere Zusammenschlüsse gleichgesinnter Katholiken oder Christen, die gemeinsam ihren Glauben vertiefen und im praktisch gelebten Alltag gegen die Widerstände der säkularisierten Welt leben wollen.“[1] Die festere Bindung der Mitglieder, etwa durch ein „Versprechen“ oder eingetragene Mitgliedschaft, unterscheidet die geistliche Gemeinschaft von der kirchlichen Bewegung.
Kirche mit Vision
Die Suche nach Gott und, damit verbunden, der intensive Wunsch, ein Leben aus dem Glauben zu führen, verbindet sie, eine große Freude ist in allen geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften spürbar. Es geht ihnen „um eine Erneuerung des menschlichen Denkens und Wollens aus dem Geist des Evangeliums“[2]. Da dies unter den Bedingungen eines „verdunstenden Glaubens“ in unserer Gesellschaft immer schwieriger wird, wird es für sie zur Herausforderung, nach positiven Möglichkeiten des Lebens als Christen und spezifischen Aufgabenstellungen, die keine Lobby haben, auch nicht in der Kirche, Ausschau zu halten.
Mit der bewussten Annahme christlicher Lebensformen kommen die geistlichen Gemeinschaften auch Bedürfnissen einer Gesellschaft entgegen, in der immer mehr Menschen über ihre Einsamkeit und innere Leere klagen. Geistliche Bewegungen und Gemeinschaften tragen große „Schätze“ in sich. Gerade auch für unsere Zeit: Sie bieten die Möglichkeit gelebten christlichen Glaubens in Ergänzung zur Pfarrei, für so manchen vielleicht die überraschende Erfahrung, wieder neu die Tiefe und das Tragende des katholischen Glaubens zu erleben.
Verschieden und doch eins
Jede geistliche Bewegung und Gemeinschaft hat dabei ihr unverwechselbares Charisma, das von Christen Wahl und Entscheidung, immer wieder eine echte „geistliche Unterscheidung“ verlangt. Alle geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen wirken diözesan-, deutschland- oder sogar weltweit; so kann in aller regionaler, kultureller oder konfessioneller Verschiedenheit die Einheit der Kirche, der Weg aller Menschen auf Christus hin erfahren werden.
Aber zunächst, wie Bischof Konrad 2011 es einmal anlässlich eines Treffens dieser Gemeinschaften und Bewegungen in der Diözese Augsburg gesagt hat, zu „Orten werden, wo Menschen atmen können“.
[1] Karl Lehmann, Neuere geistliche Gemeinschaften und Bewegungen im Leben der Kirche, in: F. Valentin / A. Schmitt, Lebendige Kirche, S. 15.
[2] ebd. S. 21.