Thema · Credo Talk

News – Fake News – Wirklichkeit

Die Pandemie ist nicht nur eine gesundheitliche Krise, sondern auch eine Vertrauenskrise – in Politik und Medien. Auch bei manchen, die sich mit keinen der großen Meinungssträngen identifizieren wollen, herrscht Orientierungslosigkeit, Skepsis oder Informationsmüdigkeit. Im aktuellen Credo-Talk sprechen wir mit Johannes Reichart über News, Fake News und Wirklichkeit. Johannes Reichart ist Romanist, Theologe und Reporter beim Bayrischen Rundfunk.

von Raphael Schadt · 13.01.2022

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Credo: Was begeistert dich an deinen Job ? Vielleicht an einem konkreten Beispiel?

Reichart: Ja also grundsätzlich ist man als Journalist natürlich am Puls der Zeit. Die Themen sind relevant und aktuell. Von Corona über Klimawandel bis hin zu politischen Konflikten. Ein Beispiel: Ich war Teil eines Recherche-Teams, das eine große Veröffentlichung hatte über die internen AFD Chat-Protokolle auf Telegramm. Das war eine größere Arbeit. Wir hatten viele Abende und Nachtstunden recherchiert und haben dann eine große Veröffentlichung. Und die hat ziemlich Widerhall gefunden, auch bundesweit. Ich habe anschließend Mails bekommen, auch von privaten Bürgern, die sich bei mir bedankt haben, oder mich aufgefordert haben, nicht nachzulassen. Das ist schon ein besonderer Moment, wenn man merkt, man tut etwas Relevantes. Die Leute erwarten das auch von uns Journalisten.

Credo: Wie wird aus Ereignissen eine Nachricht? Der klassische Sack Reis, der in China umfällt, ist eben keine Nachricht wert. Gibt es so etwas wie eine Reizschwelle, ab der man sagt: okay, jetzt ist es eine Nachricht?

Reichart: Ich glaube es ist vor allem die sensorische Wahrnehmung von uns Journalisten, die in den Redaktionskonferenzen ausgetauscht wird. Da findet sich meistens ein Konsens darüber, was nun doch eine Neuigkeit ist. Wir schauen, was ist etwas, das noch nicht da war, das Gesprächswert hat. Also, was würde ich auch meinem Nachbarn erzählen.

Credo: Wie Menschen die Welt draußen wahrnehmen wird ja auch stark von Nachrichten bestimmt. Ist nicht schon allein die Auswahl bzw. Priorisierung von Nachrichten eine Verzerrung der Wirklichkeit?

Reichart: Ich würde jetzt nicht Verzerrung der Wirklichkeit sagen. Natürlich muss einem bewusst sein, dass Medien immer nur einzelne Aspekte wiedergeben. Medien können auch gar nicht den Anspruch erheben, die komplette Wirklichkeit wiederzugeben, weil die Wirklichkeit zu komplex ist. Dazu versuchen wir Nachrichten in eine sehr kompakte Form zu bringen. Die Tagesschau zum Beispiel geht grundsätzlich 15 Minuten, egal wieviel passiert ist. Natürlich entscheiden wir als Medienmacher, was am wichtigsten bzw. am relevantesten ist. Wir versuchen natürlich, die individuellen Eindrücke aller mit einzufangen und so abzubilden, dass wir möglichst viele Menschen erreichen und deren Bedürfnis nach Information in den wichtigsten Themen wiederzugeben, die sie und uns berühren.

Credo: Viele haben den Begriff Wahrheit überhaupt aufgegeben und sprechen nur noch von Narrativ. Was versteht man unter Narrativ?

Reichart: Narrativ bedeutet für mich die Erzählung oder auch die Interpretation eines Hergangs. Wenn wir in die Politik schauen, da wird es immer verschiedene Narrative geben. Auch die Menschen leben in verschiedenen Narrativen. Für den einen ist die Corona-Situation ganz furchtbar. Man muss alles machen, um es zu unterbinden. Für die anderen ist es einfach keine schlimme Krankheit und alles völlig übertrieben. Und es ist natürlich schwierig immer herauszufinden, was die Wahrheit ist. 

Ich persönlich fühle mich der Wahrheit verpflichtet, zumindest der Suche nach der Wahrheit. Wir erleben mittlerweile, dass einzelne Vertreter des öffentlichen Diskurses, die durchaus ein Körnchen an Wahrheit haben, aber dem so einen Drall in eine Richtung geben, dass es nicht mehr stimmt. Ich glaube DIE Definition von DER Wahrheit gibt es nicht. Aber es gibt Kontexte, die wir authentisch darstellen können, relativ wahrheitsgetreu und wirklichkeitsnah.

Credo: Was sind für dich Kriterien, anhand derer du entscheidest, was vertrauenswürdige Nachrichten oder Nachrichtenkanäle sind?

Reichart: Ich denke DAS Kriterium gibt es nicht, aber ich sag mal, welches meine Kriterien sind. Zum einen habe ich eine eigene Wahrnehmung mit der ich die Information, die neu auf mich zukommt, abgleiche. Wenn jetzt zum Beispiel jemand sagt, wir leben in einer Impf-Diktatur, dann gleiche ich das mit meinem Empfinden ab: Leben wir in einer Diktatur oder ist das Schmarrn? Natürlich versuche ich, auch gegenüber mir unbekannten Informationsquellen offen zu sein. Aber man darf eben nicht naiv sein. 

Ein zweites Kriterium ist: WER sagt etwas. WELCHE Autorität hat er und WIE anerkannt ist er in seinem Bereich? Wenn ein Theologe sagt: „Jesus hat nicht existiert”, dann wird es keiner sein, der bei anderen Theologen anerkannt ist. Du wirst immer einen Experten finden, der irgendwas erzählt und dafür viel Aufmerksamkeit bekommt. Aber wenn er komplett außerhalb der Community schwimmt, ist es ein Anzeichen, dass seine Aussagen aufbauschend und sensationalistisch sein könnten.

Credo: Glaubst du, dass es einen Unterschied macht, wie man Nachrichten beurteilt, wenn man gläubig ist?

Reichart: Ich denke schon. Ich würde sagen, was mir als gläubigem Christ wichtig ist – und ich glaube auch vielen anderen – ist schon das Bewusstsein um den Wert von Einheit und Frieden. Dagegen scheint ein großer Teil der Gesellschaft vollkommen d’accord damit, im Konflikt zu leben. Da ist so eine gewisse Grundhärte, die mit dem Glauben m. E. nicht vereinbar ist. Wir sind ja zum Beispiel verpflichtet 77 mal am Tag zu vergeben. Und Vergebung ist ein Aspekte, der im öffentlichen Leben nicht vorkommt. Es gibt keine Vergebung. Für seine Taten muss man büßen und wird an den Pranger gestellt. 

Und ich glaube, dass Journalisten, die einen christlichen Hintergrund haben, vielleicht doch auf dem Schirm haben, dass das Gegenüber auch ein Mensch ist, der respektiert werden muss, der vielleicht nicht einfach so hart behandelt werden sollte. Natürlich muss man kritisch nachfragen und Dinge aufdecken. Aber die menschliche Komponente ist mir sehr wichtig. Da steckt der Glaube mit drin, finde ich, weil wir auch vor Gott verantwortlich sind, mit unserem Gegenüber gut umzugehen.