Thema · Missbrauch in der katholischen Kirche

„Warum bleiben, wenn die Kirche zum Davonlaufen ist?“

Mit dieser Frage hat Bischof Dr. Bertram Meier seine Kanzelrede beim Ökumenischen Hochschulgottesdienst am 6. Februar betitelt. Vor allem die immer wieder neuen Enthüllungen über sexuellen Missbrauch an Kindern durch Geistliche lassen viele Christen an der katholischen Kirche (ver)zweifeln. Viele Gläubige kehren der Kirche den Rücken oder treten gleich ganz aus. Gibt es denn überhaupt noch einen Grund, in der Kirche zu bleiben? Wir haben Katholiken aus dem Bistum Augsburg gefragt.

von Veronika Striegel · 10.02.2022

Mann in Rückansicht zieht seinen Hut und verlässt Kirche in
Gibt es noch einen Grund, in der Kirche zu bleiben? Foto: © lettas – stock.adobe.com

Erst im Januar erschien wieder ein neues Gutachten über sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising, das auch dem ehemaligen Papst Benedikt XVI. Fehlverhalten anlastet. Bischof Bertram meint in seiner Kanzelrede, dass es trotz aller Fehler und Verbrechen in der Kirche ein Segen ist, dass es Kirche(n) gibt und dass es sie auch zukünftig braucht.

Inspiriert von einem Flyer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg nennt der Augsburger Bischof zehn Gedanken als Antwort auf die Frage „Warum bleiben, wenn die Kirche zum Davonlaufen ist?“ Anschließend zieht er das Fazit, dass sich in der Kirche sowohl „Heuchler, Lügner und sogar Verbrecher, aber auch Lichtgestalten“ tummeln, „die sich an die Ränder wagen“ …, „um Menschen in den Straßengräben des Lebens zu suchen und aus dem Schlamassel zu ziehen: überzeugende Christinnen und Christen, wirkliche Heilige.“

Selbst der kirchenkritische und 1976 schließlich aus der Kirche ausgetretene Schriftsteller Heinrich Böll sagte: „Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen.“ (Karlheinz Deschner, Was halten Sie vom Christentum?“, 1957). Bischof Bertram lässt am Ende seiner Rede die Frage offen, ob Heinrich Böll heute aus der Kirche austreten oder vielleicht bleiben würde.

Wie kannst du in der katholischen Kirche bleiben trotz des Missbrauchsskandals?

Die Sünde des Missbrauchs gehört zur Wirklichkeit der katholischen Kirche. Wir haben Katholiken aus dem Bistum Augsburg befragt, warum sie trotzdem in der Kirche bleiben und nicht austreten. Was sind ihre Argumente?

„Warum ich bleibe? Weil mich die Kirche seit meiner Kindheit mit Glücksmomenten und Freude füllt. Vom Singen im Chor über das Ministrieren bis hin zur Romwallfahrt. Hier durfte ich aufwachsen und erwachsen werden. Ich werde bleiben und versuchen mitzuhelfen, die Kirche zu einem Ort zu machen, an dem jeder Glück und Freude erfährt!“
Iris (21)

„Ich bin immer noch in der katholischen Kirche, weil sie mich mit meiner Familie und Heimat verbindet. Meine Familie und die Gemeinde, aus der ich stamme, ist katholisch geprägt. Außerdem sind meine größten Vorbilder alle katholisch: Meine Eltern, der Heimatpfarrer und Heilige, die für mich Vorbilder sind. Letztlich aber ist es mein persönlicher Glaube, der mich zum engagierten Mitglied der katholischen Kirche, auch durch diese Zeit hindurch, macht.“
Daniel (19), Seminarist im Priesterseminar St. Hieronymus

Die Kirche ist nicht perfekt

„Mein Herz tut weh, wenn ich sehe, wie viele Menschen gerade leiden durch Täter und Versäumnisse der Kirche. Dennoch will ich der Kirche als Mutter treu bleiben, weil sie mein Zuhause ist, der Ort, wo ich Gott in den Sakramenten am nächsten sein kann. Und ich möchte da sein, um zu helfen, im Gebet oder durch Tat.“
Veronika (25), Studentin

„Dass das Bodenpersonal der Kirche sündhaft und imperfekt ist, wissen wir seit 2000 Jahren. Das schreckt mich auch heute nicht ab, ich kenne ja mein eigenes Herz. Ich wünsche mir eine Kirche, die treu an ihrem Kernauftrag festhält: vielen zu helfen, zu Jesus Christus zu finden. Dann ordnen sich die Prioritäten von selbst.“
Constantin, Missionar

„Die Missbrauchsvorfälle sind einfach grausam und jeder Gläubige wurde schon von der Gesellschaft kritisiert, noch immer in der Kirche zu bleiben. Allerdings definiert sich mein Glaube nicht durch die Sünden der Menschen, sondern durch die Liebe zu Gott und die Gemeinschaft, die uns alle in der Kirche verbindet. Nichts wird daran rütteln.“
Eva (21), Studentin in Augsburg

Warum ich in der Kirche bleibe“, obwohl sie nicht perfekt ist, berichtet uns Josef in einem Video aus unserer Reihe „Was geht mich das an?“.

Holzschnitt Judaskuss
Judas verrät Jesus mit einem Kuss – Gustave Doré (1832-1888). Bild: wikimedia.commons

Hoffnung auf Erneuerung

„Was mich hält, in der Kirche zu bleiben, ist Gottes Gegenwart: Jesus ist leibhaftig gegenwärtig und die Kirche deshalb mein Zuhause. Ich sehe den Schmutz, aber ich bleibe – wegen Jesus, nicht wegen Judas. Nun aber muss die Kirche, wie damals der Tempel, gereinigt werden. Ich bleibe, um an einer Kirche zu arbeiten, die Jesus wieder in den Mittelpunkt stellt, die von ihm gereinigt und vom Heiligen Geist erneuert wird.“
Studentin aus Augsburg

„Missbrauch von Kindern ist widerwärtig. Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden. Opfer brauchen unsere Anerkennung, Hilfe und Unterstützung. Die Kirche ist von Anbeginn eine Kirche der Heiligen und auch der Sünder. Auch ich bin ein Sünder und muss mich immer wieder neu auf den Weg der Heiligkeit machen. Wenn ich mehr aus der Botschaft Jesu und den Sakramenten lebe und mit ihm im regelmäßigen Gebet in Kontakt stehe, sündige ich weniger. Wir sind alle Kirche. Aber Jesus ist ihr Haupt und darum kann ich gar nichts anderes, als Teil von ihr zu sein.“
Alexander (48), Unternehmer, verheiratet, 4 Kinder

„Mich nimmt die aktuelle Situation emotional sehr mit. Das Leid der Missbrauchsbetroffenen scheint mir unerträglich und ich kann nicht verstehen, wie Menschen anderen Menschen so etwas antun können. Mein – hoffentlich auch weiterhin – unumstößlicher Glaube an Jesus Christus gibt mir jedoch die Hoffnung, dass das Böse in der Kirche und in der Welt nicht das letzte Wort haben wird. Ich persönlich habe in der katholischen Kirche sehr viel Gutes erfahren, zum Beispiel bei persönlichen Begegnungen mit Priestern und Ordensleuten und in der Gemeinschaft mit anderen Gläubigen. Ich bleibe in der katholischen Kirche, weil ich tief in ihr verwurzelt bin und mein Glaube an Gott der Grundwert meines Lebens ist.“
Mitarbeiterin im Ordinariat

Wie ist es bei dir: Bleibst du in der katholischen Kirche? Schreib uns gerne unter ha3-medienarbeit@bistum-augsburg.de oder auf unseren Social-Media-Kanälen.