Vor Ort · Ökumenisches Treffen „Tag zur Einheit”

Wie sieht die Kirche der Zukunft aus?

Der Tag zur Einheit ist seit 2005 das jährliche Treffen eines Netzwerks von Verantwortlichen evangelisch-landeskirchlicher, katholisch-charismatischer und freikirchlicher Gruppen in Augsburg und fand dieses Jahr am 9. März statt. Die grob 50 Anwesenden Verantwortungsträger, die sich der Einheit der Kirche verpflichtet wissen, trafen sich unter dem Motto „Kirche der Zukunft“ im Barockstadel des Klosters Ulrich und Afra, der Heimat der freien evangelischen Gemeinde Augsburg-Mitte. Mit dabei waren Dekan Bernhard Hesse aus Kempten und Pastor Andreas Neumann aus Augsburg. Wir haben uns mit ihnen unterhalten und ihnen die Frage gestellt: Wie sieht die Kirche der Zukunft aus?

von Raphael Schadt · 15.03.2024

Lobpreis im Stadel – Gemeindezentrum der freien evangelischen Gemeinde Augsburg-Mitte, dem Gastgeber des Netzwerktreffens „Tag zur Einheit". Bild: Credo/RS

Credo-Talk mit Dekan Bernhard Hesse und Pastor Andreas Neumann

Samstag morgen am Fuße der Ulrich und Afra Basilika in Augsburg, Ankunft in der modern eingerichteten barocken Scheune, dem Ulrichsstadel. Im ersten Stock unter dem historischen Dachgestühl startet die Veranstaltung mit Lobpreis in einer angenehm ruhigen, trockenen Akkustik. Der junge Lobpreisleiter vom CVJM spielt charismatische Klassiker, um auch die Silver Ager unter den Verantwortungsträgern abzuholen. 

Es folgt ein Vortrag von Pfarrer Henning Dobers, einem evangelischen Leiter der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung (GGE) – in etwa dem evangelischen Pendant zur Charismatischen Erneuerung in der Katholischen Kirche. Der Vortrag startet mit einem Bibelvers: Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder tun“ (Josua 3,5). Dann fährt Dobers damit fort, mit vielen Zahlen und persönlichen Erfahrungen die gelinde gesagt wenig ermutigenden und für viele bekannten Entwicklungen in den Kirchen in Deutschland zu illustrieren. 

Den Übergang gestalten

Der zweite Teil seines Vortrages steht unter dem Leitgedanken, den Übergang zu gestalten, anstatt den Untergang zu verwalten. An dieser Stelle sei nur einer der ausgeführten Gedanken genannt: Anhand eines forstwirtschaftlichen Bildes, dem Kontrast zwischen einer klimaanfälligen Fichtenmonokultur und einem natürlich gewachsenen, europäischen Mischwald, verglich er die Anpassungsfähigkeit kleinerer und flexibler Gemeinschaften mit jener behördlich durchorganisierter Großkirchen und ermutigte damit zu weiterer Diversifizierung kirchlichen Lebens. 

Zum Schluss griff er den Bibelvers aus Josua 3,5 wieder auf, um herauszustreichen, dass in der Kirchengeschichte schon mancher erwartete Untergang nicht stattgefunden habe und stattdessen ein wundersames, geistgewirktes Aufblühen der Kirche stattgefunden habe. Im Anschluss habe ich mich mit Dekan Bernhard Hesse, bischöflicher Beauftragter für die charismatische Erneuerung der Diözese Augsburg, und Andreas Neumann, Pastor der freikirchlichen Arche Gemeinde in Augsburg und Mitorganisator des Tages zur Einheit, unterhalten.

Credo: Herr Pfarrer Hesse, Andreas Neumann, wie stellen Sie sich die Kirche in Zukunft vor?

Dekan Bernhard Hesse: Für mich war heute ein Wort leitend: Auf die Knie, fertig, los. Wir müssen auf die Knie. Die Zukunft der Kirche wird aus Menschen bestehen, die bereit waren, sich Gott zu öffnen und ihm zu erlauben, sie zu verändern. Das ist für mich das Eigentliche der Jüngerschaft. Ein Jünger, eine Jüngerin, ist jemand, der sich von Gott hat verändern, in Dienst nehmen und in die Nachfolge rufen lassen und der missionarisch aktiv wird. Die Erneuerung der Kirche steht und fällt wesentlich mit Menschen, die Gott erlauben, durch sie hindurch Dinge zu verändern. Gott wird die Kirche erneuern, nicht wir Menschen aus eigener Initiative.

Pastor Andreas Neumann: Also meine Perspektive der Zukunft ist mit dem Heiligen Geist. Ich komme aus einer Pfingstkirche und ich weiß, ohne die Kraft des Heiligen Geistes wird sich Kirche nicht erneuern lassen, sondern bleibt in Strukturen hängen. Damit der Glaube lebendig bleibt, zur Herzenssache wird und andere begeistert, braucht es „Begeisterung”: den Geist Gottes in uns.

Credo: Wie kann man sich die Einheit in der Kirche von morgen vorstellen?

Hesse: Also zunächst einmal gehen wir definitiv – das ist ja auch katholisch – davon aus, dass die Einheit in Jesus Christus immer schon da ist. Ganz simpel: Die Kirche ist der Leib Christi. Und zur Kirche gehören auch theologisch alle, die getauft sind. Und auch jene, die sich auf die Taufe vorbereiten – mindestens. Damit haben wir ja schon eine Kirche aus vielen Getauften, die in Christus geeint ist. Das ist die Grundlage jeglichen ökumenischen Tuns. 

Was wir in den letzten Jahren neu geschenkt bekommen haben, ist eine Art geistlicher Einheit, eine „Jesus-Ökumene”. Was zuvor spannungsgeladen war, hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr weiterentwickelt, weil sich freikirchlichen Gruppen mit Katholiken etwa bei Lebensschutz Demos getroffen und gegenseitig verstanden haben. Über den Lebensschutz hinaus sind dann auch viele weitere Barrikaden gefallen. Als ich noch vor 34 Jahren Priester wurde, hätten wir nichts miteinander zu tun gehabt. Das ist ein echtes Geschenk der letzten Jahre. 

Credo: Ende letzten Jahres fand der Studientag der Abteilung Evangelisierung zum Thema Einheit mit Kardinal Koch statt. Andreas Neumann, du warst auch dabei. Was ist dir davon im Bewusstsein geblieben?

Neumann: Ich fand es bewegend, dabei zu sein und durfte feststellen, dass dieses Mandat der Einheit in der Kirche da ist und die Kirche sich ein Miteinander der Herzen wünscht. Es ging weniger um die Frage, wie man etwa auf theologischer Ebene eine Einheitskirche herstellt. Sondern darum, wie wir im gelebten Miteinander unterwegs sein und uns als Schwestern und Brüder wahrnehmen können, als Motor für Evangelisation. In Joh 17,21 steht im zweiten Teil sinngemäß: „damit die Welt sieht bzw. glaubt, ich habe den Sohn gesandt.“ Wenn Kirche in einer Stärke wahrgenommen wird – als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu – können wir gemeinsam dieser Welt dienen und den Menschen mit der Liebe, dem Licht Jesu begegnen.

Credo: Sehen Sie in dieser ökumenischen Bewegung eine orchestrierte Aktion des Heiligen Geistes?

Hesse: Die Entwicklung der letzen Jahre ist nicht zu verstehen ohne die Einwirkung des Heiligen Geistes. Etwa der Beginn der charismatischen Bewegung im Jahr 1900, als in Rom Papst Leo XIII. das neue Jahrhundert dem Heiligen Geist weiht und zeitgleich in Los Angeles der erste Geistausbruch unter Pfingstlern geschieht. Die zwei hatten zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit null Kontakt, außer über den Heiligen Geist.

Mir ist es, auf anderer Ebene, ähnlich gegangen. Ich stehe ja hier auch für die katholische 24/7 Bewegung und ich durfte 1999 in Türkheim mit der ewigen Anbetung beginnen. Starttermin war der 19. September ’99. Später habe ich mitbekommen, dass das auch der Starttermin der 24/7 Anbetung im International House of Prayer (IHOP) in Kansas City war. Exakt dasselbe Jahr, exakt derselbe Tag. Das kann man nicht machen. 

Also die Priorität des Handelns geht vom Heiligen Geist aus. Ich bin nur Diener und versuche in aller Armut zu erkennen, was Gott mit mir vorhat und wo ich ihm dienen kann. Ich übergebe ihm mein Leben und erlaube ihm das in der Anbetung. Erneuerung findet durch Menschen statt, die sich radikal Gott zur Verfügung stellen. Wo Menschen meinen, sie erneuern die Kirche, machen sie die Spaltung und die Probleme meist nur größer.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch.