Thema · Die Wahl als geistlicher Prozess

Einstimmigkeit? Nicht notwendig

Jede Gemeinschaft muss tragfähige Entscheidungen treffen. Das ist oftmals eine Herausforderung, zumal nicht immer alle Gemeinschaftsmitglieder einer Meinung sind. Wie kann dennoch Einmütigkeit erreicht werden? Als Mitglied der Gesellschaft Jesu in Innsbruck (Jesuitenorden = Societas Jesu, SJ) möchte ich anhand unserer Wahl des Generaloberen erläutern, wie wir Einmütigkeit erreichen.

von Pater Markus Schmidt · 01.02.2024

Ordensmitglieder auf dem Weg zur Generalswahl in Rom.
Nach der Heiligen Messe auf dem Weg zur Generalswahl in Rom. Foto: SJ-Bild / Don Doll SJ

Einmütigkeit ist nicht notwendigerweise Einstimmigkeit, aber ein Ergebnis, das alle die Entscheidung mittragen lässt. Das bedeutet, dass die Mitbrüder die Umsetzung einer Entscheidung unterstützen und sich im Handeln zu eigen machen. Sie mühen sich, die Gründe für die Entscheidung nachvollziehen zu können. Ihre Gründe für eine andere Meinung werden deswegen nicht ungültig.

Die Mitbrüder setzen sich aber um des gemeinsamen größeren Ziels im Sinne der getroffenen Entscheidung ein. Die Voraussetzung dafür ist freilich eine positive und wertschätzende Einstellung zur Gemeinschaft, der jemand angehört. Klingt alles utopisch? Ist es vielleicht auch, aber dennoch möglich. Bei der internationalen Wahl unseres Generaloberen klappt es beispielsweise sehr gut.

Die Wahl des Generaloberen geschieht in der Generalkongregation. In anderen Orden wird diese Versammlung häufig Generalkapitel genannt. Diese Wahl ist von weitreichender Bedeutung, da unser Generaloberer sehr viel Verantwortung trägt und mannigfache Entscheidungen treffen muss.

Vermeidung von Parteibildungen und Lobbygruppen

Wenn es um eine Wahl geht, ist die Gefahr groß, dass es zu Parteibildungen, Lobbygruppen, Stimmungsmache für diesen oder gegen jenen Kandidaten oder zu strategisch-politischen Vereinbarungen kommt. Diese Tendenz ist nichts Neues. All dem wollte unser Ordensgründer, der heilige Ignatius von Loyola (1491–1556), vorbeugen, weil es ihm um das Finden des Willens Gottes in dieser Angelegenheit – und nicht nur in dieser – ging.

Die Wahl sollte ein ganz und gar geistlicher Vorgang sein. Nur so kann Einmütigkeit, die nicht unbedingt Einstimmigkeit sein muss, erreicht werden, auch heute noch. Um die Herausforderung deutlicher zu machen: Bei der letzten Generalkongregation im Jahr 2016 in Rom nahmen mehr als 200 delegierte Jesuiten teil. Wie kann Einmütigkeit bei so vielen Personen gelingen? Was muss beachtet werden?

Murmuratio bei der 36. Generalkongregation in Rom.
Murmuratio bei der 36. Generalkongregation in Rom. Foto: SJ-Bild / Don Doll SJ

Die Wahl als geistlicher Prozess

Alle in die Generalkongregation entsandten Jesuiten müssen mit Gott im Frieden sein, denn es gilt, dem Willen Gottes zu folgen, nicht den eigenen durchzusetzen. Die Generalkongregation wird mit einer Heiligen Messe eröffnet und beginnt anschließend mit der Vorbereitung der Wahl.

Das geschieht zunächst mit einer Präsentation und Diskussion des gegenwärtigen Zustandes des Jesuitenordens (Bericht »De Statu Societatis«). Darauf aufbauend wird das Profil des zukünftigen Generaloberen erarbeitet.

Die sich nun anschließende Phase (»murmuratio«), die ein Charakteristikum der Vorgehensweise des Jesuitenordens und einmalig in der Kirche ist, dauert vier Tage und ist geprägt von intensivem persönlichen Gebet und Stille. Diskussionen über infrage kommende Jesuiten sind untersagt.

Es ist nur erlaubt, bei Mitbrüdern unter vier Augen Informationen zu einzelnen Jesuiten einzuholen, wobei auch hierbei die Gebetsatmosphäre gewahrt wird. Diese Phase ist geprägt vom Wechsel zwischen persönlichem Gebet, dem Einholen von Informationen und Liturgie. Jeder Delegierte sucht im Gebet den für ihn geeignetsten Kandidaten vor Gott zu finden. Schließlich beginnt die eigentliche Wahl. Sie wird mit der Votivmesse zum Heiligen Geist eröffnet. Es ist ja ein geistlicher Prozess, keine politische Wahl. Die Wahl ist geheim und erfolgt in der versiegelten Kongregationsaula so oft, bis ein Jesuit die absolute Mehrheit der Stimmen bekommt. Absolute Mehrheit bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Stimmen auf einen Kandidaten entfallen muss, also mindestens die Hälfte plus eine Stimme.

Es wird jedoch nicht bekannt gegeben, wie viele Stimmen der Generalobere erhalten hat, und auch nicht, wer sonst noch Stimmen bekommen hat. Im Jahr 2016 wurde bereits am Nachmittag des ersten Wahltages der neue Generalobere P. Arturo Sosa SJ aus Venezuela in großer Einmütigkeit gewählt. Am darauffolgenden Tag feierte der neue Generalobere mit den Mitbrüdern eine Dankmesse.

Die Wahlurne bei der 36. Generalkongregation.
Die Wahlurne bei der 36. Generalkongregation. Foto: SJ-Bild / Itua Egbor SJ

Überraschend und einmütig

Unsere Erfahrung zeigt, dass sich in unserer knapp 500-jährigen Ordensgeschichte diese Methode bewährt hat. Jesuiten, die an der Generalkongregation 2016 teilgenommen hatten, erzählten begeistert, wie sie alles als geistlichen Prozess erlebt hatten. Immer wieder bezeugten sie, dass sich erstaunlich rasch Einmütigkeit über einen Kandidaten einstellte, was aufgrund des Ergebnisses der geheimen Wahl deutlich wurde.

Natürlich bietet diese Methode keine Garantie, aber unsere Erfahrungen zeigen, dass es sich lohnt, sich mit ganzem Herzen auf die Führung Gottes einzulassen. Die Ergebnisse bei uns waren jedenfalls immer wieder überraschend und einmütig.