Interview mit Frère Philippe.
Thema · Taizé: Einheit in Verschiedenheit
Einheit muss man täglich neu lernen
von Raphael Schadt · 01.02.2024
Credo: Christus selber betet im hohepriesterlichen Gebet (Joh 17,22) um die Einheit all jener, die ihm nachfolgen. Die Gemeinschaft von Taizé ist für ihren ökumenischen Charakter bekannt. Wie lebt man dort konkret im tagtäglichen Leben die Einheit?
Frère Philipp: Wir haben keine endgültigen Lösungen gefunden. Es bleibt im Wandel. Wahrscheinlich stellen die Kulturen größere Unterschiede dar, als die Konfessionen. Daher sind wir eine Gemeinschaft, die sehr gemischt und heterogen ist. Und so muss man es tagtäglich neu lernen. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Credo: Gibt es auch innerhalb der Konfessionen stärkere Unterschiede, die sie erleben oder mit denen sie klarkommen müssen?
Philipp: Ja, zum Beispiel zwischen polnisch-katholisch, deutsch-katholisch und lateinamerikanisch-katholisch. Da sind doch sehr große Unterschiede. Nicht unbedingt in der Lehre, aber in der praktischen Spiritualität und der Frage: Wie lebt man seinen Glauben? Wie stellt man sich vor, gemeinsam zu leben? Gemeinsames Leben hat sehr viel mit Kultur und Prägung zu tun. Und Brüder, die aus Ländern kommen, wo man noch mit vier, fünf Generationen unter einem Dach lebt, haben eine ganz andere Vorstellung von gemeinsamem Leben als beispielsweise ein Deutscher. Von daher muss man sich immer wieder finden.
Credo: Mein Eindruck ist, dass Konfessionen mitunter über Abgrenzung funktionieren und dass gerade die, die sich um Einheit bemühen dabei zwischen die Fronten geraten. Können Sie das in Ihrem Umfeld bestätigen?
Philipp: Es gab lange Zeit Schwierigkeiten oder auch Missverständnisse. Inzwischen ist es aber relativ gut. Natürlich kamen viele Fragen auf, bzw. auch Ängste: Protestantisieren wir Katholiken? Oder warum leben Evangelische in einer klösterlichen Gemeinschaft? Dieses Vertrauen, dass wir beispielsweise aus einem orthodoxen Jugendlichen keinen Katholiken machen und andersherum, musste erst einmal wachsen. Aber inzwischen habe ich das Gefühl, dass viel Vertrauen da.
Credo: Sie leben quasi Einheit in Verschiedenheit. Jeder bleibt erst mal, wie er ist und wo er ist. Wie stellen Sie sich im Großen die Einheit der Kirche vor?
Philipp: Wir leben auf jeden Fall eine gewisse Einheit in Verschiedenheit, jedoch feiern wir alle gemeinsam die katholische Eucharistie. Das musste auch erst einmal wachsen. Die Einheit der Kirche fängt sicherlich damit an, auf einfacher Basis zusammenzuleben. Das löst keine theologischen Fragen. Aber dieses Zusammenleben ist nötig, damit diese Einheit zwischen den Menschen wächst.
Credo: Seit 1978 finden zum Jahreswechsel, die europäischen Jugendtreffen von Taize statt. Ein Impuls zum Jahreswechsel 21/22 war „Einheit stiften”. Wir erleben in den Medien eine immer stärkere Polarisierung, Stichwort Cancel Culture. Was kann man als Christ in einer so aufgeheizten Gesellschaft tun? Was würden Sie auch aus der geistlichen Perspektive von Taize vorschlagen?
Philipp: Ich glaube wirklich wichtig und unersetzbar ist, Menschen direkt zu treffen – nicht nur online. Wenn ich mit den Jugendlichen spreche und wir in einem Raum sitzen, laufen Diskussionen anders ab, als online. Natürlich muss bei manchen Themen akzeptiert werden, dass man nicht auf einen Nenner kommen wird. Wenn man sich dann aber trotz verschiedener Ansichten persönlich auf andere Menschen einlässt und man dann sogar zusammen im Gebet still vor Gott kommt, kann der Heilige Geist wirken und wir spüren die Zusammengehörigkeit.
Credo: Was aber macht man, gerade wenn es zentrale Fragen sind? Geht man da mit einem agree to disagree auseinander?
Philipp: Ich glaube, es ist wichtig, dass man da, wo man uneinig ist, auch die Freiheit und das Vertrauen hat, das aussprechen. Es wäre fatal, wenn man auf einmal über Unterschiede nicht mehr sprechen könnte. Das wäre sicherlich ein Irrweg. Das gemeinsame Leben mit anderen Menschen zusammen ist und bleibt eine der größten Herausforderungen. Einfache Lösung gibt es da nicht.
Credo: Teil des Impulses von 2021/22 war die Einheit des Herzens. Worin zeigt sich ein Mangel an Einheit im Herzen? Wie sieht diese Uneinigkeit im eigenen Herzen aus und wie kann man damit umgehen?
Philipp: Wenn ich den Frieden im Herzen nicht finde, kann ich Christus im Zweifel ohne Frieden nachfolgen. Als Christ ist man nicht bewahrt vor Depressionen und vor schwierigen Zuständen. Ich war vorher Krankenpfleger und hab viele Leute beim Sterben begleitet, auch Pastoren. Ein Pastor starb mit einem völligen Frieden im Herzen – mit sich und Gott. Ein anderer Pastor dagegen sagte vor seinem Tod: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, aber alles ist dunkel“. Das heißt nicht, dass in seinem Leben etwas falsch gelaufen ist. Manchmal ist es das Ende eines langen Lebens in der Nachfolge Christi, dass der Glaube nackt wird. Und manchmal muss man akzeptieren, dass der Friede im Herzen nicht da ist und man so Christus nachfolgt.