Vor Ort · Bei den „Stadtpiraten“ gelingt Ökumene durch ein gemeinsames Ziel

In der Nächstenliebe sind sich Christen einig

Die Mitarbeitenden des Vereins „Stadtpiraten Freiburg e.V.“ berufen sich in ihrem Leitbild auf den christlichen Glauben. Dabei gehören sie unterschiedlichen christlichen Konfessionen an. Können Einheit und Ökumene also vor allem im praktischen Tun gelingen? Von Julia Becker, einer hauptamtlichen Mitarbeiterin der „Stadtpiraten“ erfahren wir mehr.

von Veronika Striegel · 13.05.2024

Eine Mitarbeiterin der „Stadtpiraten“ bei der Essensausgabe an einen Grundschüler mit orangenem T-Shirt, im Hintergrund Jugendliche beim Essen
Bei der Essenausgabe: Gesundes Essen für jeden. Foto: Miri Nussbächer Fotografie

Credo: Was machen die „Stadtpiraten Freiburg“?

Julia Becker: Unser Ziel ist es, Kinder, Jugendliche und Eltern mit Fluchthintergrund zu fördern, zu begleiten und zu stärken. Das machen wir hauptsächlich durch Beziehungsarbeit und soziale Gruppenangebote. Wöchentlich nehmen rund 100 geflüchtete Kinder und Jugendliche an unserem Programm in drei Flüchtlingswohnheimen in Freiburg teil. Zusätzlich gibt es Elterncafés, Bildungsangebote und Familienpatenschaften für geflüchtete Eltern.

Credo: Wie ist der Verein entstanden und warum nennt er sich „Stadtpiraten“?

Julia: Alles begann 2009 mit ein paar engagierten christlichen Studierenden aus einer freien evangelischen Gemeinde, die anfingen, mit Kindern aus Flüchtlingsheimen zu spielen. Ein wöchentliches pädagogisches Programm entstand. Die aufgeweckten Kinder waren voller Bewegungsdrang und wurden so liebevoll als „kleine Piraten“ bezeichnet. Daraus ist der Verein „Stadtpiraten Freiburg e.V.“ entstanden.

Credo: Der christliche Glaube ist im Leitbild der „Stadtpiraten“ verankert. Wie wird der christliche Glaube unter den Mitarbeitenden konkret gepflegt?

Julia: Wir haben vor jeder Teamsitzung eine kurze Gebetszeit. Einmal pro Woche gestalten wir im Gebetshaus Freiburg eine Gebetsstunde. Wir machen gemeinsam Lobpreis und anschließend haben wir eine Zeit der Fürbitte für die Anliegen im Verein, unserer Teilnehmenden oder für uns persönlich.

Zwei junge Frauen im Gespräch, eine mit Brille und weißem Kopftuch
links: Gute Gespräche über Glauben und das Leben, rechts: Produktive Lernzeit im 1-zu-1-Setting. Fotos: Miri Nussbächer Fotografie
Ein Mitarbeiter der „Stadtpiraten“ erklärt einem jungen Mann mit schwarzen Haaren etwas auf einem Schreibblock.

Credo: Die Mitarbeitenden gehören verschiedenen Konfessionen an: katholisch, evangelisch oder freikirchlich. Gibt es deswegen auch Konflikte oder seid ihr immer eins?

Julia: Uns ist wichtig, dass alle aus den unterschiedlichsten Konfessionen einen Platz bei uns finden. Natürlich ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden unseren grundlegenden Werten zustimmen, ansonsten ist eine Zusammenarbeit möglicherweise nicht sinnvoll. Wir sprechen auch kritisch über verschiedene Glaubensthemen und Ansichten. Uns ist dabei ein wertschätzender Dialog sehr wichtig.

Wir sind nicht immer alle eins, kommen aber am Ende meist auf einen gemeinsamen Konsens, z. B. indem wir es den Mitarbeitenden überlassen, ob sie beim gemeinsamen Gebet oder Lobpreis mitbeten. Oder wir lassen unterschiedliche Glaubensansichten auch mal stehen. Die Vielfalt an Glaubensperspektiven bereichert unser Gesamtbild vom christlichen Glauben, z. B. wie Gott ist.

Credo: Würdest du sagen, dass die „Stadtpiraten“ ein Vorbild für gelingende Ökumene sind? Warum?

Julia: Ja, das würde ich schon sagen. Bei den Stadtpiraten sind die konfessionellen Unterschiede unwichtig, weil es um ein gemeinsames Ziel geht, das sich eigentlich für alle Konfessionen vereinbaren lässt: Wir wollen den Teilnehmenden zeigen, dass sie gewollt, begabt und geliebt sind, egal wo sie herkommen. Hierfür braucht es keine Abgrenzung zwischen den christlichen Konfessionen. Es geht um die gemeinsame Sache. Genauer gesagt wollen wir Nächstenliebe praktisch werden lassen.

Drei Teenager beim Uno-Spielen
Nach dem Lernen wird beim gemeinsamen Spiel entspannt und gelacht. Foto: Miri Nussbächer Fotografie

Credo: Welche Rolle spielt der christliche Glaube in eurer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, die vermutlich meistens nicht aus christlichen Familien stammen?

Julia: Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen hat muslimischen Hintergrund, es sind aber auch Jesiden, Hindus uvm. vertreten. Um Transparenz bei unseren Teilnehmenden und Familien zu schaffen, sagen wir klar, dass wir Christen sind. Wenn Jugendliche im Dialog fragen, was ich glaube oder z. B. bei Angst tue, erzähle ich, wie ich zu Gott bete, o. ä. Das Ganze geschieht meist im 1-zu-1-Setting oder in Kleingruppen. Wir erzählen auch Erlebnisse aus unserem Leben, beten auch mal in der Gruppe für Teenager, wenn sie z. B. Herausforderungen haben.

Außerdem beten wir gemeinsam vor dem Essen. Die Mitarbeitenden beten dann zum Gott der Christen, die Teilnehmenden entscheiden selbst, ob und zu wem sie beten. Wir wünschen uns Austausch auf Augenhöhe. Wenn die Teilnehmenden von ihrer Religion und Kultur erzählen möchten, hören wir gerne zu. So haben wir z. B. am Ramadan viel über das Thema Fasten gesprochen.

Credo: Seht ihr es als euren Auftrag, durch euer Tun auch den christlichen Glauben zu verkündigen? Falls ja: wie?

Julia: Die Teilnehmenden merken, dass wir eine andere Motivation haben als die meisten Leute aus ihrem Umfeld. Dass jemand an ihnen dranbleibt, den Kontakt aufrechterhält und sogar sucht, obwohl ihr Verhalten manchmal nicht angebracht oder sogar verletzend war. Das ist für sie oft nicht nachvollziehbar und macht sie nachdenklich. Dadurch kommen automatisch Fragen auf, warum wir das tun. Dann antworten wir ehrlich, dass unsere Motivation unser Glaube ist.

Wir machen das nicht aus uns heraus, Gott gibt uns die Kraft und die Liebe dafür. Da müssen wir nicht explizit das Evangelium mit Worten verkündigen. Dennoch verkünden wir durch unser Tun die Liebe Jesu. Zudem beten wir als Mitarbeitende immer wieder für die Kinder, Jugendlichen und Eltern, damit sie erkennen, dass Jesus real ist und sie bedingungslos liebt.

Credo: Gibt es evtl. auch Berührungsängste, z. B. vonseiten der Eltern, weil sich die „Stadtpiraten“ zum Christentum bekennen?

Julia: Das gibt es teilweise schon, aber meist nur, wenn sie uns noch nicht kennen. Manche Eltern wollen nicht, dass wir mit ihren Kindern in eine Kirche gehen. Das respektieren wir. Wir gehen dann mit den Eltern ins Gespräch und erklären, was wir tun und wie wir es tun. Dann geben sie ihre Kinder in der Regel gerne in unsere Obhut. Viele freuen sich auch, dass wir überhaupt an Gott glauben. In Deutschland erleben sie meist, dass kaum jemand an die Existenz eines Gottes glaubt.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch.

Porträtfoto einer jüngeren Frau mit glatten langen blonden Haaren in mintgrünem Pullover
Interviewpartnerin Julia Becker. Foto: Miri Nussbächer Fotografie

Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit unserer Autorin Sonja Heider, die sich ehrenamtlich bei den „Stadtpiraten Freiburg e.V.“ engagiert.