Vor Ort · Nationalität und Identität

Spricht Gott Deutsch oder Polnisch?

Ich bin in einer polnischen Familie im tiefsten Schwabenland aufgewachsen. Meine Eltern kamen vor fast dreißig Jahren nach Deutschland und früh begleiteten mich die Fragen wie „Wer bin ich?“, „Was macht mich aus?“ und „Wo gehöre ich dazu, wo fühle ich mich zu Hause?“

von Daniel Ulbrich · 14.09.2020

Junger Mann mit blonden Haaren und weißem Hemd vor grünem Hintergrund.
Daniel Ulbrich. Foto: privat

Beten in der Familie

Schon als ich noch klein war, war es meinen Eltern stets ein Anliegen, dass wir abends gemeinsam mit der Familie beten, auch wenn ich mich als Kind oft sträubte, weil zum Beispiel gerade etwas Cooles im Fernsehen lief. Dennoch war das gemeinsame Gebet etwas, das meine Beziehung zu Gott gestärkt hat. Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, wie meine Eltern es geschafft haben, uns immer wieder an einem gemeinsamen Ort zusammenzubringen – trotz der verschiedenen Kleinigkeiten, auf die meine Geschwister und ich verzichten mussten, um gemeinsam zu beten. Aber dadurch gewann diese Zeit sicher auch an Wert.

Herausforderungen im Alltag

Es gab immer wieder Probleme, das Deutsche und Polnische bei uns unter einen Hut zu bringen. Beispielsweise erzählten mir meine Eltern einmal die Geschichte, wie wir während meiner Kindergartenzeit nach Polen gefahren sind und ich mit den Kindern dort nur Deutsch gesprochen habe. Ich brauchte wohl eine ganze Weile, mich umzugewöhnen. Zurück im deutschen Kindergarten waren dann meine Erzieherinnen total aufgeschmissen, weil ich nur noch Polnisch gesprochen habe, bis ich dann irgendwann wieder aufs Deutsche umgestiegen bin.

Was ich in Deutschland und auch in Polen bemerkt habe, sind die Vorurteile und die misstrauischen Blicke, die man erntet, wenn man sich nicht in der Landessprache unterhält. Das war mir lange sehr unangenehm, aber mit der Zeit entschloss ich mich, dazu zu stehen und mich nicht für etwas zu schämen, das keinen Grund zur Scham birgt – auch wenn es nicht immer leicht ist, manch einen blöden Spruch zu ertragen. Das ist ein Kreuz, das mich mein Leben lang begleitet, welches ich aber um keinen Preis aufgeben will, weil das eben zu mir gehört.

Wegweiser_Polen-Deutschland vor dunkelblauem Himmel mit Berglandschaft.
Symbolbild. Foto: © DarwelShots – stock.adobe.com

Deutsche oder polnische Gemeinde?

Wir sind sonntags eigentlich schon immer abwechselnd in die deutsche Gemeinde (wo meine Geschwister und ich ministriert haben) und in die polnische Gemeinde gegangen. Allerdings wurde der polnische Gottesdienst meist favorisiert. Das hatte mehrere Gründe: zum Beispiel die Kultur des Beisammenseins, die mich ehrlich gesagt als Kind ziemlich genervt hat, weil ich nach dem Gottesdienst nicht direkt nach Hause konnte, sondern noch mal eine Stunde warten musste. Und dennoch habe ich es zu schätzen gelernt, sich Zeit zu nehmen, um mit anderen über den Glauben und den Alltag zu sprechen. Manchmal konnte ich dabei so richtig Kraft tanken. Außerdem war die Atmosphäre in der polnischen Gemeinde oft herzlicher als in unserer Heimatpfarrei. Durch das rege Gemeindeleben und die Freunde, die ich dort habe, fühle ich mich in der polnischen Gemeinde richtig heimisch.

„Der Pole“ oder „Der Deutsche“

In der Schule und unter Freunden in Deutschland war und bin ich „der Pole“, weil meine Eltern von dort sind, weil ich die Sprache beherrsche, weil das ein Stück weit meine Mentalität geprägt hat und weil ich in die polnische Kirche gehe. Auf die oft gestellte Frage, ob ich auf Deutsch oder auf Polnisch denke, muss ich ehrlich antworten: Mal so, mal so …!
Wenn ich nun nach Polen zur Familie fahre und mich dort mit Freunden treffe, dann bin ich „der Deutsche“, weil ich da lebe, geboren und aufgewachsen bin und weil ich die Sprache beherrsche. Lange belastete mich dieses Gespalten-Sein, bis mir irgendwann bewusst wurde, dass das nur ein Aspekt meines Ichs ist. Dabei geholfen hat mir das Wissen, dass es vielen deutsch-polnischen Jugendlichen genauso geht wie mir und dass mein Glaube mir meist mehr Heimat gibt als meine Nationalität – und das auf der ganzen Welt, egal in welchem Land!

Ganz besonders bewusst wurde mir das, als ich mit ein paar Freunden aus der polnischen Gemeinde zu einem Jugendtreffen der Bewegung „Licht Leben Jugend“ fuhr. Das ist eine katholische Bewegung, die für deutsche und polnische Jugendliche immer wieder Wochenendtreffen organisiert. Dort fand ich viele, die eine ähnliche Hintergrundgeschichte wie ich haben. Ich begann, besser zu verstehen, dass es nicht fundamental ist, ob ich Deutscher oder Pole bin, sondern dass ich Christ und Katholik bin, dass unsere wahre Heimat (der Himmel) unser aller Ziel ist und dass wir Brüder und Schwestern in Christus sind.

Junge Erwachsene im Basical
Daniel (vorne links) zusammen mit den anderen Basicals des Jahrgangs 2018/19. Foto: Basical

Identitätssuche und Berufung

Die Kirche in Deutschland so richtig anders erlebt habe ich erst im Basical, weil dort junge Leute aus verschiedenen Pfarreien zusammengekommen sind. Davor waren meine Heimatpfarrei und die Kirchen in der Umgebung mein Dreh- und Angelpunkt der Kirche in Deutschland. Das Jahr in dieser Gemeinschaft war ein großes Geschenk und hat mich in meiner persönlichen Beziehung zu Gott wachsen lassen. Die Gespräche, Aktionen, Fortbildungen, Zeiten des Gebets und der Ruhe und die tägliche Messe halfen mir, mich selbst besser zu verstehen, zu reifen, zu vertrauen und Jesus als meinen persönlichen Herrn und Erlöser anzunehmen.

Im letzten Sommer bin ich ins Priesterseminar eingetreten. Ich glaube, dass alle diese Erfahrungen – die polnischen sowie die deutschen – mir geholfen haben, meine Identität zu entwickeln und meiner persönlichen Berufung zu folgen. Ich bin Gott für die guten, aber auch für die schweren Zeiten dankbar, in denen ich seinen Beistand spüren durfte, ohne den ich wahrscheinlich nicht bis hierher gekommen wäre. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen mag, aber ich bin entschlossen, den Weg in Richtung Heimat fortzusetzen, da ich nun weiß, wo ich zu Hause bin.

Und zur Überschrift: Ich weiß nicht, ob Gott Deutsch oder Polnisch spricht, aber ich bin überzeugt, dass er zu jedem so spricht, wie es gut ist.