Thema · Angst und Verfolgung

Ich habe gelernt, meine Seele zu beruhigen

Betroffen von Terror, nach Morddrohungen auf der Flucht und schließlich der Ungewissheit vor deutschen Asylbehörden ausgeliefert. Wie wird man mit der Angst fertig? Kiro, koptischer, ägyptischer Christ, gibt in unserem Talk-Beitrag Zeugnis über den Verlust von Familienangehörigen bei einem Anschlag, seine Flucht nach Deutschland und wie der Glaube ihm geholfen hat, mit seiner Angst fertig zu werden.

von Raphael Schadt · 24.10.2023

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Kiro aus Ägypten über sein Leben als Christ in Ägypten, das Attentat und seine Flucht nach Deutschland.

In der Gesellschaft in der ich aufgewachsen bin, sind wir Christen in der Minderheit. Wir Kopten bilden zehn Prozent der Bevölkerung, also zehn Millionen Christ unter 90 Millionen Muslimen. Von Kindheit an habe ich Angst erlebt, Beschimpfung oder einfach das Gefühl „Du bist als Christ nicht willkommen”.

Ich wurde einmal gefragt: Was war der schönster Tag in deinem Leben? Meine Antwort war sofort: Als ich Europa erreicht habe. Ich musste fliehen, meine Heimat verlassen und eine lange Reise unternehmen, um mich in Sicherheit zu bringen.

Attentat an Sylvester

Als wir Silvester 2011 in der Kirche waren, gab es ein Attentat. Dabei sind meine Mutter, meine Schwester und meine Tante ums Leben gekommen. Meine anderer Schwester wurde sehr schwer verletzt.

Ich hatte große Angst. Nach dem Attentat habe ich sie bis zum Abend gesucht. Ich war verwirrt. Wo ist meine Familie? Wir waren zu fünft zur Kirche gekommen und danach stand ich allein da: Warum bin ich gerade alleine? Dann erfuhr ich, dass sie ums Leben gekommen waren. Das hat mir das Herz gebrochen und mich krass runtergezogen. Aber ich musste weitermachen, weiterkämpfen und für meiner Schwester da sein.

Todesdrohungen in der Heimat

Nachdem sie wieder gesund war, habe ich mich für uns Christen eingesetzt. Bald wurde ich mit dem Tod bedroht und hatte zwei Möglichkeiten: Entweder zum Islam übertreten oder Kopf ab. Und ich wollte nur ungern „Kopf ab”. Deswegen bin ich geflüchtet.

Man erkennt uns in Ägypten an unserem Namen. Wenn du Kiro oder Lukas heißt, wirst du als Christ erkannt – und gehasst. Man erkennt uns auch an den kleinen, eintätowierten Kreuzen, die wir Kopten am Handgelenk tragen. Unsere Eltern tätowieren sie uns nach der Geburt ein, damit wir, falls wir entführt werden, später erkennen können, dass wir als Kind Christ waren. Es ist sozusagen unser Zeichen. Das Problem wiederum ist, sobald man mir die Hand schüttelt, sieht man es ebenso. Und darunter habe ich sehr gelitten. Unsere Nachbarn zum Beispiel, stellten ihren Müll vor unserer Haustür ab und sagten „Ach, du bist Christ. Du bist nicht mehr wert, als dieser Müll.“ 

Wie wird man mit der Angst fertig?

Schon früher, als ich mit meinen Schwestern allein unterwegs war und sie kein Kopftuch trugen, sah ich oft, wie sich Augen auf uns richteten. Blicke, die das Herz brechen. Wie wird man damit fertig? Ich war zehn Tage von Ägypten nach Europa auf der Flucht. Wie verpackt man die Angst, ob man ankommt oder nicht?

In Europa angekommen beantragte ich Asyl und für die Bewilligung dauerte es noch sieben Jahre: Jedes Mal, wenn ich meinen Ausweis verlängern liess, bekam ich die Rückmeldung: „Okay, ich verlängere Ihren Ausweis für 28 Tage. Aber passen Sie auf: In diesen 28 Tagen werden wir Sie abschieben.” Wie bewahrt man da den Mut und die Hoffnung?

Zu meiner Seele sprechen

Ich musste von Kindheit an lernen, zu meine Seele zu sprechen und mich selbst zu beruhigen, wie es David im Psalm 131 sagt: „Ich ließ meine Seele ruhig werden und still. Wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir. Meine Seele harre auf den Herrn!” Und in Psalm 42: „Meine Seele, warum bist du betrübt und bist du so unruhig in mir? Harre auf den Herrn, denn ich werde ihm noch danken. Meinem Gott und meinem Herrn. Du bist mein Retter auf den ich schaue.” Die Lösung steckt für mich im letzten Satz, mit dem ich mir selbst dieses Vertrauen zuspreche. Und, dass ich Jesus selbst um Hilfe bitten darf. Er hat mich nie alleine gelassen, sondern war immer an meiner Seite.

Sobald wir uns nicht mehr um uns selbst drehen und um unsere Ängste, sondern auf den Herrn zu schauen, treten wir heraus aus unserem Ichbezug und hinein in den Bezug zum Herrn. Das Problem an der Angst ist, sie lässt uns oft erstarren. Eine Gazelle läuft mit bis zu 97 Kilometer pro Stunde ein Löwe dagegen nur mit bis zu 73. Wie kann ein Löwe dann eine Gazelle fressen? Weil sie vor Angst erstarrt.

Dir wünsche ich statt Angst ganz viel Mut!