Vor Ort · Familie

„Ich werde Vater!“ – Identität im Umbruch

Wie weiß ich, wer ich bin? Und was passiert, wenn ich mir dessen einmal gar nicht mehr so sicher bin? Als meine Frau und ich Eltern geworden sind, wurde meine Identität vor völlig neue Herausforderungen gestellt.

von Lukas Golla · 24.09.2020

Symbolbild: Kelli Mcclintoc / Unsplash

Identität ist ein viel diskutiertes Wort. Die Frage nach dem „Wer bin ich?“ beschäftigt uns – sowohl in verschiedenen wissenschaftlichen Fragestellungen, aber auch in unserem Alltag.

Vielleicht kennen einige von euch eine ähnliche Situation. Man steht beim Einkaufen vor dem Regal und fragt sich. Welchen Kaffee kaufe ich jetzt? Den Bio-fair-trade Kaffee oder die etwas günstigere Variante? Ist mir fairtrade wichtig? Wie denke ich eigentlich darüber? Was sagt das über mich, wenn ich diesen oder den anderen Kaffee kaufe? Wer bin ich für andere, wenn ich jetzt zu Hause den einen oder den anderen Kaffee anbiete?

Wer möchte ich für mich sein und wer möchte ich nach außen hin sein?

Das ist ein banales Beispiel, aber zeigt vielleicht ein bisschen wie alltäglich die Frage nach Identität ist. Sie hat immer etwas damit zu tun, wer ich für mich und wer ich nach außen hin für Andere bin oder sein möchte. Forscher betonen heute: Damit Identität gelingt, also funktioniert, ist es wichtig, dass man die verschiedenen Aspekte der eigenen Persönlichkeit und auch jene Perspektiven, die andere auf mich haben in meiner Person zusammenbringen kann – mit all den Schwächen, Stärken, Eigenheiten, mit der je eigenen Geschichte und den Hoffnungen und Wünschen für die Zukunft und situationsübergreifend darin eine Einheit erlebt . Diese innere Sicherheit und das Wissen darum, wer ich für mich bin und nach außen hin sein möchte, wird heute manchmal als Identitätsgefühl bezeichnet. Das Erleben eines inneren sicheren Identitätsgefühls benötigt jedoch immer wieder auch Abstimmungsprozesse, Rückversicherungen und Integrationsprozesse.

Das mag einfach sein, wenn es um den Kauf von Kaffee geht, wird aber gerade dann herausfordernd, wenn man im Leben vor große Umbrüche gestellt ist. So ging es mir als ich Papa geworden bin.

Wie will ich als Papa sein?

Ich war mit meiner Frau schon einige Jahre verheiratet und wir haben uns sehr auf unser erstes Kind gefreut. Einige Zeit, nachdem wir uns sicher waren, dass wir ein Kind bekommen würden, habe ich mich an einem Morgen in ein Café gesetzt und mir Zeit genommen, diesen Gedanken einmal zuzulassen: „Ich werde Vater!“ Neben Freude und 1000 To do’s, die mir in den Kopf schossen, mischte sich auch Unsicherheit dazu. Was bedeutet denn Vaterwerden für mich? Wie will ich als Papa sein? Ich habe das ja noch nie gemacht. Was wird das mit unserer Ehe machen? Werde ich für meine Frau immer noch genauso wichtig sein? Wie wird unser Kind mich sehen?

Ich war völlig neu vor die Herausforderung gestellt, meine Identität, mein Fühlen und Denken über mich als Mann und als zukünftiger Vater in mein bisheriges Denken einzuordnen und zu integrieren. Ich glaube jeder von uns steht immer wieder einmal vor einer solchen oder ähnlichen Herausforderung, sei es der Übergang von Studium zu Beruf, eine neue Partnerschaft oder tatsächlich das Eltern-werden.

Mir haben in dieser Zeit drei Sachen besonders geholfen, um mit den Fragen und Herausforderungen, die sich mit gestellt haben, umzugehen.

1. Verstanden werden in Beziehung

In dieser Zeit haben mir besonders Gespräche mit meiner Frau, mit guten Freunden und mit Begleitern Ruhe und Sicherheit gebracht. Meine Frau stand ja vor ähnlichen Herausforderungen und konnte meine Gedanken sehr gut nachvollziehen. Gute Freunde haben mir zugehört und meine Sorgen und Gedanken, die ich mir gemacht habe, ernst genommen. Ich wurde verstanden und gesehen – das hat erstmal geholfen. Im Gebet war es gut mit vielem einfach da sein zu können. Gott als Vater hat für mich eine völlig neue Bedeutung erhalten – weil ich mich bei ihm in dieser Zeit gesehen, geborgen und aufgehoben erleben konnte.

2. Besinnen auf das Schöne und Gute, auf das ich zurückgreifen kann

Mich zu fragen, wie ich als Papa sein möchte war zugleich eine unfassbar spannende Zeit. Ich habe mich gefragt auf welche positiven Erfahrungen und Vorbilder ich zurückblicke. Mich hat es neu nachdenken lassen, welche Erfahrungen mich bezüglich Vätern geprägt haben, was Vaterschaft für mich bedeutet und wie ich z.B. meinen eigenen Vater erlebt habe. Heraus kamen viele schöne Erinnerungen mit meinem eigenen Vater oder anderen Männern, die für mich väterliche Vorbilder waren. Gewissheiten, die ich heute in mir trage, Stärken und positive Charaktereigenschaften, auf die ich heute zurückgreifen kann, haben sich in diesen Beziehungen herausgebildet und haben dazu beigetragen, das ich heute der Mann und Papa bin, der ich bin. Das wiederum hat mir auch geholfen, mit Schwächen oder auch mit einigen scherzhaften Erinnerungen umzugehen, die ich dabei auch entdeckt habe. Ich durfte lernen: Ich habe Schwächen und Stärken und die werde ich auch als Papa haben – und das ist okay.

3. Positive Vision entwickeln

Je näher der Geburtstermin rückte, desto konkreter wurde es: Jetzt werde ich Vater und wir werden Eltern sein. Die Unsicherheit war nicht weg, aber sich gehalten und gesehen zu sehen bei Gott und in meinen Beziehungen und das Rückbesinnen auf mein Geworden-Sein als Mann mit den Stärken und Schwächen, wie ich sie heute habe, haben mir geholfen, positiv nach vorne zu schauen. Ich konnte neu für mich verstehen, was ich als wertvoll und schön erfahren habe und freu mich darauf, vieles davon mit meinem Sohn zu teilen. Ich konnte meine Ängste und Sorgen ansprechen. Das bedeutet nicht, dass meine Frau und ich jetzt immer noch genauso viel Zeit zu zweit haben wie vorher, aber wir wissen beide darum, wie wichtig uns diese Auszeiten sind und sehen die Sorge des anderen darum. Ich konnte mich als Mann in meinem Geworden-Sein noch einmal neu verstehen und hoffe und wünsche mir, dass ich meinem Sohn auf seinem Weg vieles von dem Guten und Schönen, das ich erleben durfte, mitgeben kann. In dem Wissen und dem gleichzeitigen Schmerz, dass ich nicht alles perfekt werde machen können.

Die Erfahrung vorbehaltloser und allumfassender Liebe

Gerald Hüther, ein deutscher Neurobiologe schreibt in einem Buch über Identitätsentwicklung von Jungen und Männern einen sowohl aus pädagogischer als auch theologischer Perspektive bemerkenswerten Satz. Er schreibt, für eine authentische und sichere Identitätsentwicklung bräuchte es nicht mehr und nicht weniger als das Wissen und die Erfahrung „vorbehaltloser und allumfassender Liebe“. Ich glaube dass es wichtig ist, sich von den Herausforderungen und Anfragen an das eigene Selbst hinterfragen und herausfordern zu lassen, dabei sowohl den eigenen Grenzen, aber auch den eigenen Stärken zu begegnen – alles in dem Wissen und der Sicherheit, dass es diesen EINEN gibt, der vorbehaltlos und allumfassend „Ja“ zu mir gesagt hat.

Lukas Golla ist Vater eines Sohnes. (Foto: privat)