Vor Ort · Interview mit Martin Schleske

Der Klang und das Wirken der Gnade

Martin Schleske aus Landsberg am Lech gehört zu den bedeutendsten Geigenbauern unserer Zeit. Dazu ist er auch Physiker und Bestsellerautor. In Publikationen wie „Der Klang” deutet er das Zusammenspiel von Instrumentenbau mit dem Spiel des Musikers auf das geistliche Leben. Wir haben uns mit ihm über wirkliche Musik, wirkliches Leben und dem Wirken der Gnade Gottes unterhalten.

von Raphael Schadt · 17.12.2021

Geigenbauer mit Geige in seiner Werkstatt
Martin Schleske in seiner Werkstatt in Landsberg am Lech. Bild: Raphael Schadt

Credo: Ich sehe hier viel Holz, haben Sie einen besonderen Bezug zu diesem Material? 

Schleske: Ich habe eine sehr starke Beziehung … weniger zum Material, eher zum Baum. Ich habe große Ehrfurcht, wenn ich aus so einem Holz, das 200 Jahre als Lebewesen gewachsen ist, ein Kunstwerk schaffen darf. Denn das gleiche Leben – das Leben aus Gott – das in mir ist, ist auch im Baum. Ohne diese Ehrfurcht braucht man keine Instrumente schaffen.

Credo: Als Musiker arbeite ich ja fast nur noch am Computer. Ist musizieren am Holz anders als am Rechner?

Schleske: Absolut, ja. Computergenerierte Musik ist synthetisch erzeugter Klang. Es ist wie ein Photo eines Models, das ich mit Photoshop so lange nachbearbeite, bis es nur noch Stress verursacht bei jedem, der es sieht. Wenn ich es generieren kann, ist es nicht mehr das echte, rotzige Leben, nicht mehr das leidende, gewordene, sondern nur noch das gewollte Leben.

Die Simulation wirklichen Lebens

Credo: Wenn wir nun immer mehr im digitalen Arbeiten und immer weniger das Gewordene erfahren, sondern das perfekte Gewollte generieren, wie Sie sagen, was macht das mit uns auf Dauer? 

Schleske: Der größte negative Sieg der Pandemie könnte sein, unsere Kultur verändert zu haben. Wenn wir den Bildschirm für eine online-Konferenzen aufklappen ist das zwar unheimlich praktisch. Aber die Frage ist, ob es die Wirklichkeit ins Leben bringt, oder nur Wirklichkeit simuliert. Den Menschen auf Bildschirmpixel zu reduzieren und zu meinen, man sei sich begegnet, ist für mich ein Angriff auf den Kern des Glaubens.

Im Johannes-Prolog begegnen wir dem Satz: „Das Wort wurde Fleisch”. Der Sinn, der Logos, manifestiert sich als Fleisch, also als ganzer Mensch. In der Videokonferenz reduzieren wir den Menschen auf Information. Und das ist ein Problem, denn der Geist wirkt nicht durch Information. Wesentliches von Gotteserfahrungen ist so vielleicht gar nicht mehr möglich.

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Ausschnitt aus dem Interview mit Martin Schleske in seiner Werkstatt in Landsberg am Lech.

Das gleiche gilt beim Musizieren: Der Moment maximaler Stofflichkeit und Körperlichkeit, ist wenn das Bogenhaar die Saite berührt. In dieser Berührung ist die Quelle aller Schönheit. Das Wort wird Fleisch, wird Körper. Und diese Berührung ist gleichzeitig maximale Verletzlichkeit. Wenn 2000 Menschen im Konzertsaal einen Geiger hören, der eine Bachsonate spielt, das erste Bogenhaar die Saite berührt und alle den Atem anhalten. Dann kommt diese 45 Gramm Geigendecke ins Schwingen und feuert in den ganzen Saal ein Feuerwerk. Das lässt sich mit nichts ersetzen.

Das schöne an handgemachter live-Musik ist, sie ist nur jetzt. Wir sind in der maximalen Gegenwart. Es ist nicht wiederholbar. Die Lüge digital nachproduzierter Musik hat ja im Grunde schon vor 100 Jahren mit der Schallplattentechnik angefangen. Die Lüge zu glauben, dass man das Jetzt wiederholen kann. Wir werden belogen durch eine Simulation des echten Lebens.

Perfektion und Vollkommenheit

Mit dieser Simulation kommt Feigheit in die Musik. Musiker kopieren auf der Bühne nur noch ihre Aufnahmen. Sie müssen die selbe Perfektion abliefern, die sie schon bei den Aufnahmen zusammeneditiert, ja zusammengelogen haben. Musik wird zum virtuosen Hochleistungssport. Über Computerprogramme wird heute selbst die Intonation des Gesangs korrigiert, live, in Echtzeit. Aber kein Sänger kann wirklich so singen. So verliert das ganze die Spontaneität, den Mut etwas zu riskieren, auf die Gefahr hin zu sagen: Ja, ist schief gegangen. Musik wird austauschbar perfekt.

Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Perfektion und Vollkommenheit. Wir sollen ja nicht Perfektion anstreben. „Seid vollkommen” heißt es in der Bergpredigt. Und Vollkommenheit beinhaltet die Barmherzigkeit mit dem nicht Perfekten. Die Vollkommenheit erlaubt dem, was noch nicht perfekt ist, sich zu entfalten. Der Perfektionist dagegen zwingt die Dinge dazu, bereits am Ziel zu sein. Er nimmt allem das Leben, was er berührt, weil er ihm nicht erlaubt zu wachsen. Und solche Musik-Aufnahmen sind nur Zeugnis von Perfektion.

Das schöne an einem Handgemachten Instrument ist das managen von Fehlern. Handarbeit heißt, wie gehe ich mit meinen Fehlern um? Es ist eben nicht maschinell reproduzierbar.

Der Verwirklichte Mensch und die Gnade

Credo: Sie haben einmal sinngemäß gesagt: „Wie der Instrumentalist an seinem beschädigten Instrument leidet, so leidet Gott am Menschen, der nicht verwirklicht, was in ihm angelegt ist.” Wie sieht nach Gottes Sehnsucht der verwirklichte, vollkommene Mensch aus?

Der verwirklichte Mensch schlechthin ist Jesus. Daher rührt sein Recht, zu sagen: ”Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben”. Einer der Ursätze des Johannes-Evangeliums. Der ganze Himmel atmet auf und sagt: „So ist der Mensch gedacht! Es hat sich doch gelohnt! So kann der Mensch sein“ Jesus ist der Prototyp des vollendeten, vollkommenen Menschen, wie Gott sich den Menschen gedacht hat.

Für mich ist wesentlich an Jesus, wenn er sagt „der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht.” Wir tun sehr viel. Aber das hat nicht notwendigerweise Bestand oder Ewigkeitsqualität. Dieser Satz bedeutet hineinzugehen in die völlige Ohnmacht: „Ich kann nichts.” Jesus hat aus der Gnade heraus Dinge getan, nicht weil er sie tun wollte, sondern weil er gesehen hat, dass die Gnade sie jetzt tun will. Dann ist er hineingegangen und hat gesprochen und es ist geschehen. Das Faszinosum des Menschen ist, dass wir geistbegabt sind und zusammenwirken können mit den Kräften der Gnade.

Das Wirken der Gnade

Die Gnade möchte unseren Glauben „spielen”, wie ein Musiker sein Instrument. Das ist für mich ein Grundsatz. Die Gnade ist der Musiker des Lebens und unser Glaube ist das Instrument. Umgekehrt heißt das, wenn die Gnade keine Instrumente findet, bleibt sie stumm. Deswegen geschieht in dieser Welt so wenig Gottes Wille. Es ist kein Instrument da, das gespielt werden kann. Zu lernen, wie die Gnade unseren Glauben „spielen” kann, ist für mich die Berufung des Menschen.

Credo: Selbstverwirklichung ist demnach die Orientierung an Jesus, statt an meinen Vorstellungen. 

Schleske: Die Berufung des geistbegabten Wesens in dieser Welt ist es, Gott zu verwirklichen. Das ist die tiefe Selbstverwirklichung. Alles andere ist Schall und Rauch. Selbstverwirklichung bedeutet: „Was kann Gott durch uns sein?” Gott ist behindert an uns, wenn wir nicht aus dem Glauben uns zur Verfügung stellen. Dann ist der Mensch einfach nur ein unfassbar uninteressantes und gefährliches Ego.

Das Zusammenspiel zwischen Gnade und Glauben heißt für mich Gebet – und das Leben ist ein Gebet. Ich gehe mit einem betenden Herzen durch den Tag. Wenn Gott auch ohne mein Leben und Beten das gleiche tun könnte, wie mit dem Gebet, dann würde er uns nicht bitten, dass wir beten. Dann wäre zu beten nur ein pädagogisches Spiel.

Es ist eine Art von Hingabe der Liebe, weil durch Gebet Dinge geschehen, die ohne Gebet nicht geschehen. Da wird es nämlich spannend. Dann tut Gott in jedem Augenblick in dieser Welt, was er tun kann. Es gibt KEINEN Moment, in dem Gott nicht tut, was er tun kann, denn er ist die Liebe und er ist vollkommen.