Vor Ort · Religionsfreiheit

Wo Kirche sein verfolgt sein heißt

Verfolgung und Diskriminierung sind Grunderfahrungen der Kirche. Auch wenn wir in Deutschland wie selbstverständlich Religionsfreiheit genießen, so heißt Kirche bzw. Christ zu sein in vielen Teilen der Erde, verfolgt oder diskriminiert zu sein. In diesen Anliegen wird Bischof Bertram am 18. September 2022 im Augsburger Dom einen Kreuzweg beten. Diese Aktion findet zusammen mit Kirche in Not statt. Wir haben uns mit André Stiefenhofer, dem Leiter der Medien von Kirche in Not Deutschland, unterhalten.

von Raphael Schadt · 09.09.2022

André Stiefenhofer
André Stiefenhofer, Leiter der Medien von Kirche in Not Deutschland. ©Kirche in Not.

Credo: Wovon sprechen wir, wenn wir von verfolgter Kirche oder Christenverfolgung sprechen?

André Stiefenhofer: Bei unseren Erhebungen konzentrieren wir uns auf Zahlen zur Religionsfreiheit im Allgemeinen. Dazu schauen wir, was die jeweiligen Landesverfassungen erlauben und garantieren. Das gleichen wir mit Medienberichten und Informationen unserer Partnern ab. Unser aktueller Report zeigt auf, dass in 62 Ländern der Welt – sprich einem Drittel – das Recht auf Religionsfreiheit verletzt wird, durch Diskriminierung oder Verfolgung. Nachdem 67% der Weltbevölkerung in diesen Ländern lebt, macht das 5,2 Mrd. Menschen verschiedener Religionen. Davon leben 2,9 Mrd. unter autoritären Regierungen, 1,2 Mrd. unter islamistischem Extremismus und 1,6 Mrd. unter ethnoreligiösem Nationalismus, hauptsächlich in Indien.

Interaktive Karte zur Religionsfreiheit von Kirche in Not
Screenshot der interaktive Karte von Kirche in Not zur Situation der Religionsfreiheit – interaktiv unter dem Link zum Report oben. Auffällig ist der rote Gürtel von Malaysia bis Mali. © Kirche in Not

Credo: Schon der Begriff Christenverfolgung scheint ja in Deutschland eher unbeliebt zu sein. Woher kommt das?

Stiefenhofer: Es gibt in Deutschland in der öffentlichen Diskussion Zweifel daran, dass Christen überhaupt Opfer sein können. Christen werden da eher als Täter verstanden. Etwa als Missionare, die in der Vergangenheit kolonialistisch auftraten. Aber das ist eine einseitige Wahrnehmung. Als 2003, kurz nach dem Einmarsch der Amerikaner, radikale Gruppen durch den Irak zogen und irakische Christen vertrieben wurden, hieß es oft: Was hatten Christen da überhaupt zu suchen? Das war ja nur Missionsgebiet. Die Leute wissen oft nicht, wo Christen ursprünglich herkommen. Im Irak waren es Jahrtausende alte Communities, die ausgelöscht wurden.

Übrigens: Das Jahrhundert mit den meisten Christenverfolgungen war das zwanzigste, als Faschismus und Kommunismus vorherrschten. Das ist vielen heute nicht bewusst. Vom Stalinismus, den Gulags etc. wissen viele nichts mehr. Wir schauen in Deutschland zurecht überwiegend auf die Geschichte des Faschismus. Aber aus der Perspektive der Religionsfreiheit war der Kommunismus bzw. der Sozialismus dasselbe in grün.

Aber zugegeben: In Deutschland gab es bisher eine christliche Mehrheit. Wenn in dieser Position jemand sagt, „ja, wir werden aber verfolgt”, muss das natürlich kritisch hinterfragt werden.

Credo: Was sind die Ursachen für einen Mangel an Religionsfreiheit? Viele sehen sie ja hauptsächlich in Armut begründet.

Stiefenhofer: Für uns klingt logisch, dass mehr Intoleranz herrscht, wenn es Menschen schlecht geht, und andersherum, sich Toleranz und Frieden einstellen, wenn es allen gut geht. Die tägliche Erfahrung spricht aber eine andere Sprache. Menschen sind nicht nur Opfer ihrer Umstände. Die Einstellung der Herzen ist zentral. Deswegen setzten die Gründer von Kirche in Not immer beim Herzen der Menschen an. Wir sagen, es hilft nichts, in einem Dorf einen Brunnen zu graben, ohne die Herzen der Menschen zu verändern. Sonst kommt einfach das Nachbardorf und sagt: „Ihr habt einen Brunnen, wir nicht. Wir nehmen ihn euch weg.“ Und schon hat man den nächsten Krieg.

Bei unseren Projekten fangen wir damit an, der Kirche vor Ort zu helfen, pastorale Strukturen aufzubauen, christliche Werte hineinzutragen und Versöhnung zu fördern. Natürlich gibt es Faktoren, wie den Klimawandel oder wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die das Leben erschweren. Aber es liegt bei jedem selbst, wie er mit Widrigkeiten umgeht. Wir sehen die Ursache für mangelnde Religionsfreiheit bei autoritären Regierungen und deren Ideologien, die sie im Herzen tragen und in die Herzen der Menschen bringen.

Credo: Können Sie uns ein aktuelles Anliegen von Betroffenen schildern?

Stiefenhofer: Ein Thema im Bereich Christenverfolgung ist das Thema Zwangsverheiratung in Regionen, die von Islamisten heimgesucht werden. Die Strategie dahinter ist, die Frau aus der Familie herauszureißen und damit auch ihre Nachkommen. Denn nach islamischem Recht ist jedes Kind, das aus einer Ehe mit einem muslimischen Mann und einer andersgläubigen Frau hervorgeht, automatisch muslimisch. Wenn diese Frauen in europäischen Ländern Asyl suchen, gibt es dafür kaum rechtliche Handhabe. Wenn sie sagen:„Mein Mann hat mich entführt“, dann können sie das nicht nachweisen.

Das Mädchen Maria Shahbaz etwa war 14, als sie entführt und vergewaltigt wurde. Sie sollte dann zwangsverheiratet werden. Es gelang ihr aber zu fliehen. Sie ist jetzt mit ihrer Familie an einem versteckten Ort und möchte unbedingt in den Westen auswandern. Die pakistanischen Behörden wollen das aber nicht zulassen. Im unserem Bericht „Hört ihre Schreie”, stehen viele solcher individuellen Schicksale.

Titelbild Hört ihre Schreie Kirche in Not
Titelbild des Berichts „Hört ihre Schreie" von Kirche in Not. Bestellbar oder zum Download unter dem Link oben. © Kirche in Not

Credo: Wie reagieren diese Menschen auf Verfolgung?

Stiefenhofer: Wenn man mit Verfolgten spricht ist verblüffend, dass sie nicht überlegen: Jetzt wird es gefährlich, Christ zu sein, ich halte mich mal zurück. Im Gegenteil! Der Bischof von Maiduguri/Nigeria z.B. hat als erstes öffentliche Rosenkranzprozessionen angeordnet, als Boko Haram in seiner Diözese groß wurde. Die Leute sind zu tausenden auf die Straße gegangen und haben gemeinsam Rosenkranz gebetet. Mit dem Ergebnis, dass sie mehr Ruhe vor den Islamisten haben als andere Regionen, die diesen Mut nicht hatten. Die Leute werden in ihrem Glauben bestärkt und halten daran fest, gegen alle Widerstände.

Credo: Es heißt „das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche“. Würden Sie das bestätigen?

Stiefenhofer: Ein sehr antimodernistischer Satz, aber er stimmt tatsächlich. Aktuell blüht z.B. das Christentum im Nordirak – nachdem der IS alles platt gemacht hatte – wieder auf. Viele, die damals geflohen sind, kehren jetzt zurück. In Erbil gibt es eine große christliche Uni. Wir haben vor kurzem einen großen Schulkomplex in Karakosch – zwischen Erbil und Mossul, also Kerngebiete des IS – wiedereröffnet. Das ist wirklich eine große Hoffnung.

Aber das ist kein Automatismus. In der Sowjetunion hatten viele gehofft, dass nach den gewaltigen Verfolgungen des Stalinismus die Orthodoxe Kirche sich findet und wieder zu einem starken geistlichen Player wird. Davon ist zur Zeit leider wenig zu sehen. Aber gerade im Nahen Osten hat etwa die Opferung von Christen durch den IS in Ägypten einen Aufschrei verursacht. Viele Muslime haben sich davon distanziert und sagen, das ist nicht muslimisch, das ist barbarisch. Das hat natürlich alles Auswirkungen. Sie sehen Christen, die in ihren Communities trotz allem friedlich miteinander leben. Und das ist anziehend.

Und wer es glauben mag: Aktuell häufen sich Berichte von Marien- oder Christuserscheinungen unter Muslimen in Ägypten – mit zahlreichen Bekehrungen. Davon erzählen viele Menschen unabhängig voneinander, selbst Bischöfe – wenn auch nicht öffentlich. Auch das kann man unter dieses Diktum einordnen. Weltweit jedenfalls wächst der Glaube.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch!