Thema · Hoffnung auf Leben ohne Drogen

Ein Lebensstil der Freiheit – Fazenda da Esperança

Carla Jasper und Luiz Braz sind Hausleiter der Fazenda da Esperança. Carla leitet ein Haus in Landsberg am Lech und Luiz in Bickenried im Allgäu. Dort können junge Menschen mit Drogenproblemen ein neues Leben beginnen. Dabei spielen eine katholische Spiritualität, das Gebet und die Gemeinschaft eine zentrale Rolle.

von Raphael Schadt · 15.08.2025

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Carla Jasper und Luiz Braz von der Fazenda da Esperança beim Credo Talk mit Raphael Schadt.

Raphael: Was machen die Höfe der Hoffnung?

Luiz: Der Hof der Hoffnung, portugiesisch Fazenda der Esperanza, ist eine Lebensgemeinschaft für Männer und Frauen, die einen Neustart im Leben versuchen, ohne Sucht. Allerdings kommen sie nicht nur, um ohne Drogen oder Alkohol zu leben, sondern um einen neuen Lebensstil zu lernen. Ein Lebensstil, der den Glauben in einem Gemeinschaftsleben zum Fundament hat. Wir leben mit diesen Männern und Frauen und versuchen ihnen zu zeigen, dass es einen Ausweg und neue Richtung im Leben gibt.

Raphael: Wie muss man sich das vorstellen, wenn man bei euch ankommt?

Carla: Nach einem abgeschlossenen Entzug können Rekuperanten (lat. recuperare: wiederherstellen) zu uns kommen. Manche nehmen schon in der Entzugsklinik mit uns Kontakt auf.

Luiz: Am Anfang ist es hart, in so eine Gemeinschaft zu kommen. Leute, die in der Sucht stecken, haben meist keine Struktur. Sie glauben an nichts, auch nicht an sich selbst. Und plötzlich kommen sie in eine Gemeinschaft, wo sie sehr eng ein Gefühl von Familie erleben. Plötzlich gibt es Struktur: Morgens aufstehen, beten, arbeiten, einen geregelten Tagesablauf. Viele kennen das nicht. Raus aus der Sucht, rein in ein Gemeinschaftsleben ohne Handy oder Medien – ein ganzes Jahr lang. Es gibt keine Ablenkungsmöglichkeiten und man ist mit sich selbst konfrontiert. Deswegen ist der Anfang oft schwierig.

Carla: Wenn man neu ankommt, sind aber schon andere da, die einen tragen. Neue Rekuperanten erleben Liebe und Aufmerksamkeit. Viel haben das in ihren Familien wenig erlebt. Das trägt sie am Anfang. Aber selbst das überfordert viele.

Luiz: Die Zeit auf der Fazenda ist wie im Leben. Zuerst musst du getragen werden wie ein Baby. Du musst anfangs geweckt werden, zur Arbeit angeregt werden – die meisten haben keine Lust. Aber nach den drei Monaten ist die erste Zeit überwunden. Du machst erste Schritte alleine, übernimmst Verantwortung in Arbeitsbereichen. Dann denken viele: Okay, sechs Monate drogenfrei, jetzt ist es gut! Aber hier kommt die wichtigste Zeit, nämlich den anderen zu tragen, also erwachsen zu werden, Verantwortung zu übernehmen. Das ist der schönste Teil der Rekuperation.

Am Ende des Jahres gibt es eine große Abschlussfeier, zu der auch die Familien kommen. Anschließend geht es vier Wochen in den Urlaub: Andere Luft atmen und andere Leute sehen. Wer möchte, kann zurückkommen und länger bleiben oder die nächsten Schritt mit uns vorbereiten.

Raphael: Was ist es, das bei Rekuperanten Wiederherstellung bewirkt?

Carla: Viele versuchen ja durch Drogen eine Leere auszufüllen. Damit kommen sie aber irgendwann an einen Punkt, an dem das nicht mehr funktioniert. Was wir auf der Fazenda anbieten können, ist eine Antwort auf diese Leere. Unser Ursprung ist die Spiritualität und das Gebet. Und das ist, was sie erfüllen kann – mit der Zeit. Stück für Stück, mit dem täglichen Entschluss, das Evangelium zu Leben – mit Taten der Liebe, etwa jemandem ein Glas Wasser zu bringen, der im Garten arbeitet etc. – kommt man aus diesem Egoismus heraus. Sie erkennen: Auch ich werde fähig zu lieben und langsam füllt sich diese Leere wieder auf.

Luiz: Was die Fazendas bieten, ist diese große Entdeckung: „Ich bin tatsächlich geliebt, mit all meinen Scherben, all meinem Schmerz. So wie ich bin. Ich bin würdig und ich kann lieben.” Das zu beobachten ist auch sehr schön. Durch die kleinen Taten der Liebe im alltäglichen Zusammenleben fangen Dinge an, hoch zu kommen. Man fängt an zu verarbeiten: die Elternbeziehung oder dass man als Kind gemobbt wurden. Plötzlich haben sie Mut, darüber zu sprechen. Und dann fangen wir an, damit zu arbeiten.

Raphael: Was heißt „arbeiten” in diesem Zusammenhang? Gibt es psychotherapeutische Betreuung?

Luiz: In jeder Fazenda wohnen Priestern oder Ordensschwestern mit. Und wir legen großen Wert auf die Beichte. Leute erfahren, dass Gott in ihnen arbeitet, wenn sie regelmäßig beichten. Aber allein dieses Zuhören in Gemeinschaft, zu wissen, jemand ist für mich da, der mir in die Augen schaut, mich ernst nimmt und nicht wie einen Termine schnell abarbeitet. Das ist ein Türöffner. Therapeuten leben auf der Fazenda leben zwar keine, aber wir arbeiten immer wieder auch mit externen Psychotherapeuten und Psychiatern zusammen.

Raphael: Wie sind die Fazenda da Esperanca entstanden?

Luiz: Es war der Wunsch eines Priesters in Brasilien, vor etwa 40 Jahren, seiner Gemeinde zu zeigen, dass das Evangelium heute lebbar ist. Davon waren einige Jugendliche der Gemeinde begeistert. Einer von ihnen nahm seinen ganzen Mut zusammen und hatte diese erste Begegnung mit Drogenabhängigen. Er verbrachte Zeit mit ihnen und zeigte einfach Wertschätzung. Bis einer kam und sagte: Ich brauche Hilfe.

Der Jugendliche wusste, er konnte es nicht allein. Er sagte: Komm in die Kirche und wir versuchen, einen Weg zu finden. Sie boten ihm an, das Evangelium konkret zu leben. Und er merkte, okay, es hat eine Wirkung. Wenn ich das lebe, erfüllt es mich und ich habe kein Verlangen mehr nach Drogen, Alkohol etc.. Und so kamen immer mehr. Heute sind es weltweit 180 Bauernhöfe, wie in Bickenried und Landsberg.

Mit Bickenried war es so: Wir bekamen eine Einladung – und die Fazenda kommt nur, wenn uns das Haus überlassen wird und wenn die Kirche bzw. die Bevölkerung vor Ort das wollen. Der Bischof wollte also, dass wir kommen und wir bekamen das Haus. Allerdings hatte die Bevölkerung Angst.

Raphael: Nicht alle sehnen sich nach Drogenabhängigen in der Nachbarschaft …

Luiz: Ganz normal. Wenn man es nicht kennt, denkt man: Oh, jetzt kommen die Banditen. Nach vielen Gesprächen gab es eine Volksabstimmung bei der 51 % für eine Fazenda vor Ort stimmten. Sehr knapp, aber für uns eine klares Zeichen, dass wir kommen können. Unsere Tür stand von Anfang an offen. Viele konnten kommen und sehen, wie wir leben. Heute ist die Fazenda sowohl im Dorf als auch in der Kirchengemeinde integriert.

Carla: In Landsberg hatten die Dominikanerinnen schon seit einiger Zeit angefragt, ob wir bereit wären, mit ihnen etwas zu machen. Die Dominikanerinnen werden weniger und älter und dachten: Was wird aus dem Haus, wenn wir nicht mehr da sind? Schließlich hat unsere Gemeinschaft meinen Mann und mich gefragt, ob wir bereit wären, mit den Kindern nach Landsberg zu ziehen und mit den Schwestern etwas aufzubauen. Wir kamen und spürten: Dieser gemeinsame Weg mit den Schwestern ist schön und wird gut. Und im Juni 2024 haben wir unsere Einweihung gefeiert. Wir wohnen jetzt also zusammen mit den Schwestern und versuchen mit den zwei Charismen etwas Neues zu gründen. Wir bringen unsere Begabungen und die Schwestern ihre. Jetzt leben sie mit jungen Frauen im Haus. Es ist ein großes voneinander Lernen.

Raphael: Vielen Dank für das Gespräch und Gottes Segen für eure Arbeit!