Ich gebe es zu: Ich bin ein Angsthase. Viele Dinge machen mir Angst. Bösartige Menschen machen mir Angst. Gefährliche Situationen machen mir Angst. Bedrohliche Krankheiten machen mir Angst. Blinder Terror macht mir Angst. Manchmal ist diese Angst überlebenswichtig. Wenn ich zum Beispiel dadurch Gefahren frühzeitig erkenne und ihnen so gerade noch rechtzeitig ausweichen kann. Manchmal lähmt mich diese Angst aber, weil ich mich dann nicht traue, Dinge zu tun, die ich eigentlich für richtig und wichtig halte. Und so mache ich es meist wie der Hase: Kaum hat er eine Gefahr mit seinem feinen Näschen gewittert, rennt er los, schlägt Haken und entkommt auf diese Weise der Gefahr.
Märtyrinnen und Märtyrer sind offensichtlich keine Angsthasen. Es sind Frauen und Männer, alte und junge Menschen, die nicht weglaufen, sondern bereit sind, für den Glauben an Jesus Christus den Tod zu erleiden. Wir kennen einige ihrer Namen aus der Bibel oder aus Heiligenerzählungen: Stephanus, der gesteinigt, Petrus, der gekreuzigt, und Afra, die dem Feuer übergeben wurde. Doch Märtyrer-Viten sind nicht nur Geschichten aus ferner Vorzeit, also zur Zeit der Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Nero, oder Vorfälle aus fernen Ländern. Und es hat auch nicht nur alte Leute getroffen.
Auch heute sterben Märtyrer
Solche Martyrien haben hier bei uns in Deutschland auch während der Nazidiktatur stattgefunden. Denken wir an die Geschwister Scholl, Hans (24 Jahre) und Sophie (21 Jahre), sowie Alexander Schmorell (25 Jahre), Willi Graf (25 Jahre) und Christoph Probst (23 Jahre). Ein Buch („Zeugen für Christus“) dokumentiert 1.000 solcher Lebensbilder allein während des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Sie alle waren bereit, für die Menschenwürde und die Wahrheit des Glaubens den Tod zu erleiden. Und sie waren dabei treu bis in den Tod.
Auch heute sterben Märtyrer – mehr als je zuvor: Christen werden in kommunistischen und islamistischen Staaten wegen ihres Glaubens gefoltert und ermordet. Denken wir an die 21 koptischen Märtyrer, die am 2. Februar 2015 an einem Strand im Westen der libyschen Stadt Sirte durch Mitglieder der Terrororganisation „Islamischer Staat“ enthauptet wurden. Oder an die Christen, die auch heute noch unter kommunistischen Regimen gequält und ermordet werden.
Was müsste ich tun, um mein Leben zu retten?
Woher nehmen Märtyrer die Kraft zum Blutzeugnis? Wie überwinden sie ihre natürliche Angst? Es geht ja schließlich darum, dass die Mörder ihnen das Leben rauben, ihre irdische Existenz auslöschen wollen. Die erste Reaktion in einer solchen Situation ist mit Sicherheit Angst, Panik, Entsetzen! Der natürliche Überlebenswille sucht nach Wegen, aus der Situation einigermaßen unbeschadet herauszukommen, buchstäblich seine Haut zu retten.
Doch dieser erste Überlebensimpuls behält bei den Blutzeugen nicht die Oberhand. Irgendwann setzt sich im künftigen Märtyrer die Überlegung durch: Zu welchem Preis kann ich nun noch meinen Hals aus der Schlinge ziehen? Was müsste ich tun, um mein Leben zu retten? Und die betroffene Person erkennt: Es ginge nur um den Preis der Wahrheit – man müsste die Wahrheit verleugnen. Doch dann wächst in ihr die Überzeugung, dass die Wahrheit wichtiger ist als das eigene Leben. Dass man sich nicht mit der Lüge, der Bosheit und der Falschheit verbrüdern darf, um sein Leben zu retten. Dass man sich selbst untreu werden, ja sich selbst verlieren würde, wenn man dem Bösen nachgäbe.
Widerstand der „Weißen Rose“
Die „Weiße Rose“ hatte im Geheimen damals vor genau 80 Jahren Flugblätter verbreitet, um den Deutschen die Augen zu öffnen für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Aus christlicher Überzeugung heraus leistete diese Münchner Studentengruppe Widerstand mit dem Ziel, Hitler zu stoppen. Bei einer Flugblattaktion an der Münchner Uni wurden sie erwischt und verhaftet. Als Sophie Scholl vom Vernehmungsbeamten Robert Mohr, der ihr „Wehrkraftzersetzung und Hochverrat“ vorwirft, verhört wird, versucht er ihr zunächst eine „Goldene Brücke“ zu bauen, damit sie ihr Leben retten kann. Sie solle sich von ihrem „falschen Gedankengut“ lossagen, und alles auf ihren Bruder Hans schieben. „Es geht um Ihr Leben!“, drängt Mohr sie dazu, ein sie halbwegs entlastendes Geständnis abzulegen.
Sophie ist erschüttert, lässt sich aber innerlich nicht brechen. Und mit unbeschreiblichen Mut und unerschütterlichem Blick erklärt sie schließlich fest entschlossen: „Ich würde es genauso wieder machen. Nicht ich, sondern Sie haben die falsche Weltanschauung! Nach wie vor bin ich der Meinung, dass ich das Beste für mein Volk getan habe. Ich bereue das nicht. Ich will die Folgen dafür auf mich nehmen“.
Treue zur Wahrheit
Wieso hat sie nicht den Ausweg aus ihrer Situation gewählt? Warum hat sie ihr Leben nicht gerettet? Wieso hat sie der Angst um ihr Leben nicht nachgegeben? Vielleicht hätte sie ja überlebt. – Aber etwas in ihr war stärker als ihre Angst: ihr Glaube. Die innere Überzeugung, das Richtige getan zu haben. Der Wille, die Konsequenzen für ihr moralisch richtiges Handeln zu tragen. Die Bereitschaft der Treue zur Wahrheit. Das Bewusstsein ihrer christlichen Verantwortung für ihre Mitmenschen. Der geistige Kampf gegen eine nationalsozialistisch verseuchte Gesellschaft, die die Welt in den Abgrund führt.
All das war größer als ihre Angst. Sophie Scholl war kein Angsthase, der sich vor der bedrohlichen Situation aus dem Staub macht. Ein unerschütterlicher Glaube nahm Platz in ihrem Herzen und Verstand und ließ sie so zu einem Felsen der Menschenwürde heranreifen. Und das bleibt sie nun für immer.
Die Zeit des bürgerlichen Christentums ist heute ein für alle Mal vorbei. Auch ich muss mich entscheiden. Bleibe ich ein Angsthase? Oder bin ich bereit, öffentlich für den Glauben, für die Wahrheit und für das Leben einzutreten? Auch wenn mir das gesellschaftliche und persönliche Nachteile, Spott und Verfolgung, vielleicht sogar Gefahr für Hab und Gut, Leib und Leben bringt? Die Märtyrinnen und Märtyrer zeigen uns, wie das geht.