Credo: Herr Dr. Michel, ist die Klimaangst, wie sie Greta Thunberg in einem Statement propagiert – I want you to panic – ein guter Ratgeber?
Dr. Karl-Georg Michel: Wenn ich auf die Welt schaue, wie wir sie gerade erleben, also die Häufung von wetterbedingten Katastrophen, dann kann ich diese Angst und Verzweiflung, gerade von jungen Menschen, total verstehen. Aber als Christen sollte uns etwas Anderes auszeichnen: ein trotz allem positiver Blick nach vorne, also christliche Zukunftshoffnung. Wir dürfen darauf vertrauen, dass die Schöpfung in Gottes guten Händen und letztlich in ihm geborgen ist. Das bedeutet für mich nicht, naiv zu sein und einfach darauf zu warten, bis Gott die von uns Menschen angerichteten Schäden wieder reparieren wird. Aber als Christen dürfen wir singend vorangehen, wie es Papst Franziskus so schön am Ende seiner Enzyklika „Laudato si‘‘ formuliert hat.
Credo: So berechtigt das Anliegen der Bewahrung der Schöpfung ist, so scheinen diese Fragen nicht primäres Anliegen des Evangeliums zu sein. Ist es dennoch Aufgabe der Kirche, sich ökologische Anliegen zu eigen zu machen, oder sollte sie sich nicht vielmehr auf ihr Kerngeschäft fokussieren, das Himmelreich zu verkünden und die Menschen zu lehren, ein Leben gemäß der Bergpredigt zu führen?
Dr. Michel: Keine primären Fragen des Evangeliums? Darauf möchte ich mit einem Zitat von Benedikt XVI. antworten: „Der Erlöser ist der Schöpfer, und wenn wir Gott nicht in dieser ganzen Größe verkünden – Schöpfer und Erlöser –, dann reduzieren wir auch die Erlösung“. Also für mich sind die von Ihnen beschriebenen Gegensätze überhaupt kein Widerspruch. Die Schöpfungsverantwortung gehört doch schon immer zu unserem Kerngeschäft, angefangen von den Schöpfungsgeschichten der hebräischen Bibel! Im Evangelium hat uns Jesus die Gottes- und Nächstenliebe als die beiden zentralen Gebote der Christusnachfolge hinterlassen. Aber wenn Gott wirklich der Schöpfer ist, dann schließt dies für mich automatisch unsere natürliche Umwelt mit ein.
Nehmen Sie nur den Wettersegen, den wir wie selbstverständlich den Sommer über am Ende vieler Gottesdienste empfangen: Sind das nur ein paar fromme Segensworte, oder bedeutet das nicht vielmehr den Auftrag an uns, im Alltag schöpfungsgemäß zu leben? Sehr gut zusammengefasst hat dieses ökologische Anliegen Franz von Assisi in seinem berühmten Sonnengesang: „Gelobt seist du mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen“. Das kann nicht bloß metaphorisch gemeint sein im Sinne schön daher gesagter Worte. Nein, das fordert uns zu konkretem Tun auf.
Der heilige Franziskus war da selber ja sehr konsequent. Es sieht außerdem leider so aus, dass schon in wenigen Jahrzehnten weite Regionen der Erde wegen der veränderten klimatischen Bedingungen für Menschen lebensgefährlich sein werden. Spätestens dann wird dort wohl niemand mehr wohnen, dem wir die Botschaft vom Himmelreich verkünden könnten …
Credo: Manche sehen unter den verschiedenen Akteuren der Klima-Bewegungen religiöse Muster am Werk, etwa mit leugbaren Dogmen („Klimaleugner“), apokalyptischen Szenarien und Heilserwartungen bzw. Heilsutopien. Müsste sich die Kirche nicht differenzierter dazu positionieren?
Dr. Michel: Die Frage ist für mich hier, was unter „die“ Kirche zu verstehen ist? Was jedenfalls die Päpste betrifft, gibt es ja seit langem klare Positionierungen zur christlichen Schöpfungsverantwortung, von Johannes Paul. II. über Benedikt XVI. bis hin jetzt zu Papst Franziskus. Beispielsweise hat sich Papst Benedikt XVI. während seiner Deutschlandreise im September 2011 im Berliner Reichstag sehr ausführlich und wie ich meine auch sehr positiv mit der Ökologiebewegung befasst, ihr aber im Sinne einer Differenzierung zugleich Grenzen aufgezeigt.
Auch Papst Franziskus tut dies, etwa in seinen Botschaften zum Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung, den wir jedes Jahr am 1. September begehen. Im Übrigen meine ich, „die“ Kirche sollte im Sinne einer Differenzierung vor allem positiv herausstellen, für was sie selber steht. Und dazu gehört für mich auch, dass wir endlich auf den Schrei der Erde und den Schrei der Armen hören. Beides gehört zusammen. Ich stimme Papst Franziskus zu, wenn er in seinem neuesten Schreiben „Laudate deum“ innerkirchliche Klimaskeptiker kritisiert, die eine solche Argumentation ignorieren. Das wäre dann sozusagen eine Differenzierung nach innen.
Credo: In der christlichen Endzeitvorstellung wie sie etwa in 2. Petr. 3,13 formuliert ist, wird die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde gerichtet, also eine jenseitige Heilserwartung. Klimaaktivisten dagegen hoffen darauf und arbeiten dafür, DIESE Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ist es unsere Aufgabe als Christen, mit politischen Mitteln „die Erde zu einem besseren Ort“ zu machen, oder nicht vielmehr uns selbst, unser Herz mit geistlichen Mitteln zu einem Ort zu machen, der uns bereit für einen neuen Exodus macht, bzw. für das Himmelreich?
Dr. Michel: Aber dieser neue Himmel und diese neue Erde haben doch schon längst begonnen! Im Kolosserbrief bringt dies der Apostel Paulus im Christushymnus (Kol 1,15-20) wunderbar zum Ausdruck: Mit der Auferstehung wurden wir Menschen erlöst und es ist unser Auftrag, schon im Hier und Jetzt an dieser neuen Welt mitzubauen. Es ist das, was ich eingangs mit christlicher Zukunftshoffnung beschrieben habe. Oder was Benedikt XVI. damit meint, Gott immer als Schöpfer und Erlöser zu verkünden. Für mich bedeutet dies: Würde ich als Christ einfach nur auf das Himmelreich warten und die Rettung der Welt Klimaaktivisten überlassen, käme das einer, theologisch gesprochen, Sünde gegen Gott gleich. Denn wie könnte ich da guten Gewissens noch meinen Glauben an Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde bekennen?
Nein, wir müssen schon alle auch mit unserem eigenen Leben dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das geistliche Mittel, das wir als Christen dafür haben, ist eine ökologische Umkehr, also die Verabschiedung von der Gier, mit der wir die Schöpfung seit Jahrzehnten ausbeuten. Durch unsere Lebensführung, durch unseren Konsum sind wir dafür auch persönlich verantwortlich. Und deshalb, da haben Sie völlig Recht, braucht es tatsächlich einen „Exodus“, einen Übergang zu einem neuen, zu einem genügsameren Lebensstil.
Als Katholiken hätten wir ja die bewährte Tradition des Freitagsopfers. Wie wäre es, an diesem Tag bewusst zu verzichten? Damit lassen sich übrigens auch nachweislich Treibhausgase einsparen. Wir haben eine so große theologisch begründete Tradition genügsamen Lebens. Nutzen wir das doch, statt uns von anderen ihre Veggie Days vorschlagen zu lassen!