Thema · Über die Möglichkeit nachhaltigen Wachstums

Entschluss zur Genügsamkeit – Aufbruch oder Abbruch?

Das Thema Nachhaltigkeit liegt im Trend – auch weil es eines der dringlichsten unserer Zeit ist. Prof. Dr.-Ing. Mattias Schlipf von der Hochschule München befasst sich mit Fragen der Nachhaltigkeit in industrieller Produktion und Marketing. Wir haben  ihn gefragt, ob der Weg der Nachhaltigkeit für unsere aktuelle Wirtschaftsform Aufbruch, Umbruch oder Abbruch bedeutet.

von Raphael Schadt · 26.07.2023

Ein schönes Tiny House am See: Inbegriff für genügsame Reduktion auf das Wesentliche. Bild: Collage Credo-Redaktion, Lens By Victor Jung, LysonGrafik, stock.adobe.com.

Credo: Herr Prof. Schlipf, worin sehen Sie die Hauptstrategien von nachhaltigem Handeln und Verbrauchen?

Prof. Matthias Schlipf: Der Begriff Nachhaltigkeit bedeutet „langfristig orientiertes Handeln“ und hat drei Dimensionen. Man spricht über (1) ökologische Nachhaltigkeit – hierüber wird aktuell am meisten in den Medien berichtet. Man spricht über (2) die ökonomische Nachhaltigkeit – hieran ist unser Wirtschaftssystem am ehesten ausgerichtet. Und dann gibt es noch eine (3) soziale Nachhaltigkeit wie z. B. faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und Sinn im Tun zu finden.

Betrachten wir die ökologische Nachhaltigkeit: Hier ist Ziel, mit der Umwelt oder Schöpfung verantwortungsvoll umzugehen und z. B. die Klimaerwärmung zu reduzieren. Zur Erreichung dieser Ziele gibt es wiederum drei Ansatzpunkte und Strategien:

a.) Ressourcen-Effizienz: mit weniger Ressourcen den gleichen Output erzielen. Oder mit gleichen Ressourcen für ein Produkt oder einen Produktionsschritt weniger CO2 zu emittieren.

b.) Ressourcen-Konsistenz: Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft oder „Circular Economy“. Leistungen sollen mit naturverträglichen Technologien und Stoffen so erzeugt und betrieben werden, dass die Betriebsstoffe und auch das Produkt selbst am Ende des Lebenszyklus bioverträglich abgebaut oder recycelt werden können.

c.) Ressourcen-Suffizienz: Richtet sich auf einen geringeren Verbrauch von Ressourcen durch eine Verringerung der Nachfrage nach Gütern. Ein Weniger-ist-mehr-Ansatz.

Credo: Weshalb reichen die ersten beiden nicht aus und welches Problem löst Suffizienz?

Prof. Schlipf: Bei a.) und b.) wurden über die Jahre dank Technologie und Technik zahlreiche Fortschritte gemacht. Maschinen und Anlagen verbrauchen weniger Energie, wir verwenden recycletes Papier … Aber wo bei Konsistenzansätzen oft ein Mehr an Zusatzenergie (für Recycling, Kreislaufsysteme oder Stoffumwandlungen) investiert werden muss, führen sogenannte Reboundeffekte zu einer Kannibalisierung der Effizienzgewinne. Obwohl Verbrennungs- und Elektroantriebe über die Jahre viel effizienter geworden sind, führt dies nicht zu einer CO2-Reduzierung, einfach weil das Mehr an Autos, an leistungsstärkeren Antrieben und an gefahrener Strecke die Effizienzgewinne annullieren und sogar umdrehen. Zudem führt der Fokus auf Wachstum und Individualisierung zu immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen.

Credo: Kurzlebigkeit von Produkten ist ja vielfach gewollt. Unser Wirtschaftssystems lebt ja von diesem schnellen „Stoffwechsel“. Wären langlebige Produkte und genügsame Konsumenten nicht der Tod unseres Wirtschaftssystems und Wohlstands?

Prof. Schlipf: Nur weil ein System sich schneller dreht, wird es dadurch nicht besser. In der Tat ist unser Wirtschaftssystem ausgerichtet an Wachstum. Dieses Wachstum muss jedoch und kann auch „nachhaltig“ in allen drei Dimensionen (sozial, ökonomisch und ökologisch) sein. Wachstum kann nicht nur durch Massenkonsum, verkürzte Produktlebenszyklen und Losgrößeneffekte (d. h. Senkung der Kosten pro Produkt durch mehr Produktionsvolumen) erfolgen. 

Wir müssen weg vom „was und wieviel mehr der Kunde wollen soll“ hin zum „was der Kunde braucht und was genügt“. In der Beantwortung der letzten Frage liegt auch Wachstum – nämlich nachhaltiges Wachstum.

Credo: Gibt es neben moralischen Argumenten auch technisch-innovative Ansätze, die weniger zu konsumieren wirtschaftlich machen?

Prof. Schlipf: Ja die gibt es. Heute schon sind z. B. in der Industrie und im verarbeitenden Gewerbe die Unternehmen ökonomisch am erfolgreichsten, die ihre Kunden über die Produkt-Lebensphase begleiten und hierfür entsprechende Services und Modernisierungs-Pakete anbieten. Wachstum kann nicht nur über ein Mehr an hergestellten und vermarkteten Produkten erfolgen, sondern auch über begleitende Dienstleistungen entlang der Produktnutzungsphase: Ökonomisch und ökologisch nachhaltige Geschäftsmodelle sind hier „Retrofitting“ – also Modernisierung und Updates von bestehenden Maschinen und Anlagen – oder „Remanufacturing“ d. h. das Wiederaufbereiten von Gebrauchtteilen.

Portrait Prof. Schlipf
Prof. Matthias Schlipf lehrt B2B-Marketing, Vertriebs- & Technologiemanagement an der Hochschule München mit den Schwerpunkten International Sales & Aftersales Management in Technology-based B2B Markets, Sustainable Product- & Business Model Design in Industrial Markets und Suffizienz-Marketing. Privat ist er engagiert im CVJM Augsburg.

Credo: Welche Anreize können für genügsameres Konsumieren gesetzt werden?

Prof. Schlipf: Neben Geschäftsmodellen und politischen Ansätzen ist es aus meiner Sicht wichtig, auf uns als Menschen im privaten wie auch beruflichen Umfeld zu schauen und zu analysieren, was intrinsisch und freiwillig zu einer Verhaltensveränderung führt. In einer Studie konnten wir z. B. nachweisen, dass ein schönes und ästhetisches Produktdesign bei Käufern und Anwendern sowohl im privaten wie auch beruflichen Umfeld dazu führt, dass achtsamer und verantwortungsvoller mit dem Produkt umgegangen wird und die Wiederkaufsrate sinkt – also freiwillig ein suffizientes Kauf- und Nutzungsverhalten vorliegt. Schönheit und Suffizienz liegen also beieinander bzw. wir müssen und dürfen das „Schöne am Ausreichenden“ entdecken.    

Credo: Eine Frage an Sie als Christ: Menschen leben ja in verschiedensten Ängsten und begegnen ihnen u. a. mit Besitzanhäufung. Ich verstehe das Evangelium ja hier als Gegenmittel – ist es bisher an der Realität des Menschen gescheitert?

Schlipf: Aus meiner Sicht ist hier vom Evangelium nichts an der Lebenswirklichkeit gescheitert. Im Gegenteil – die Realität ist, und das zeigen zahlreiche Studien, dass ein Mehr an Gütern, Besitz und Geld das Leben nicht glücklicher und sinnvoller macht. Ratgeber wie Simpify-your-life, Take-a-break oder der Trend zum Tiny House boomen. Aber man muss das Leise, das Weniger, das Ausreichende, das Maßvolle auch zulassen und aushalten können. Geduld ist hier ein Schlüssel. Langmut und Nachhaltigkeit sind hier verwandt. Bei dem vielen „immer-schneller“ und „immer-mehr“ hilft mir persönlich die klare und schlichte Zusage und Gewissheit aus Psalm 23,2 „Dir wird nichts mangeln“.

Credo: Danke für das Gespräch.

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