Thema · Gebet

Heilige Routine

Seit Frater Benedikt in seiner Klostergemeinschaft mehrmals am Tag das Stundengebet betet, schätzt er diese „heilige Routine“ als Zugang zu einer „höheren Ebene des Lobpreises“. Ein Plädoyer für feste Gebetsformen.

von Frater Benedikt Eble · 19.02.2020

Foto: Joshua Golde

Das Wort „Routine“ ist unseren Tagen nicht gerade gern gesehen und bedeutet für viele Menschen die inhaltsleere ständige Wiederholung einer bestimmten Tätigkeit. Eine Ehe, in die „Routine“ eingekehrt ist, gilt als tot, weil sich keiner der Partner mehr wirklich mit Leib und Seele einbringt. Wenn ein Musiker „routiniert“ sein Set spielt, mag es sein, dass es technisch hervorragend ist, aber meistens springt dabei trotzdem der Funke nicht so wirklich über. Auch im religiösen Bereich ist das böse R-Wort ein No-Go. Zu sehr erinnert es uns an die Pharisäer, denen Jesus vorwirft, dass sie die äußeren Formen ihres Glaubens beibehalten und perfektioniert haben, sich innerlich aber schon lange von der Hingabe an Gott verabschiedet haben (vgl. z.B. Lk 11,39-51).

Routine als Freiheit, das Herz zu Gott zu erheben

Früher, als mein Bruder und ich ministriert haben, hat unsere Tante im Hinblick auf unseren Dienst den Begriff von der „heiligen Routine“ geprägt. Sie meinte das jedoch überhaupt nicht negativ. Sie hat mit dieser zugegebenermaßen doch recht eigenwilligen Wortschöpfung beschreiben wollen, dass wir zwei die äußere Form unseres Dienstes, also die Laufwege, die Haltung etc., so beherrschten, dass wir das Geschehen in der Heiligen Messe innerlich und andächtig mitvollziehen konnten. Für sie hatte diese Art von Routine überhaupt nichts Inhaltsleeres, sondern ermöglichte überhaupt erst den echten feierlichen Vollzug des Ministrierens. Dadurch dass wir bei den jeweiligen Diensten, Gebeten, Bewegungsabläufen so gut eingeübt waren, mussten wir über die einzelnen Schritte nicht mehr gesondert nachdenken. Wir konnten uns sozusagen dem großen Ganzen widmen und das Herz zu Gott erheben – frei von nervösem Überlegen, was als nächstes drankommt.

Was von der Äußerung meiner Tante blieb, war ein kleiner Running Gag in unserer Familie, aber doch auch die Erkenntnis, dass es gut ist, wenn man die äußere Form der Gottanbetung „beherrscht“, um überhaupt Raum schaffen zu können für eine Tiefendimension. Das gilt für das Ministrieren – und ich glaube ebenso für das gesamte Leben mit Gott. Auch beim Beten kommt es nicht so sehr darauf an, dass wir Gott in jeder Situation des Lebens ein passendes Gebet formulieren und dabei möglichst originell sind. Es hilft und es ist für ein gutes Gebetsleben mit Sicherheit unerlässlich, dem Herrn immer wieder frei heraus unser Lob zu bringen, ihm ehrlich und mit eigenen Worten sagen zu können, was uns bewegt und wo wir ihn besonders brauchen. Aber auch da dürfen wir nicht bei den Worten hängen bleiben.

Vaterunser, Stundengebet und Rosenkranz

Bevor Jesus die Anleitung zu dem Gebet schlechthin, dem Vaterunser, gibt, ermahnt er seine Jünger, beim Beten nicht große Worte zu machen wie die Heiden (vgl. Mt 6,7), sondern vielmehr durch die formulierten Verse des Vaterunsers ihre Seele zu Gott zu erheben. „Denn euer Vater im Himmel weiß, was ihr benötigt, noch ehe ihr ihn darum bittet.“ Es geht nämlich nicht darum, Gott eine schlaue Rede zu halten, sondern dass wir ihm unser Herz hinhalten, denn das ist weit mehr wert als das bestformulierte Gebet. Jesus geht es hier bestimmt nicht darum, freies Beten schlechtzumachen, aber er hat im Blick, dass man sich manchmal auch zu sehr um schöne Worte kümmern kann. Sich auf eine eingeübte feste Form (in diesem Fall das Vaterunser) einzulassen, macht frei, den Fokus der Zwiesprache mit Gott auf die Herzensebene zu legen.

Das Stundengebet ist eine uralte Gebetsform der Kirche. Es besteht zum größten Teil aus Psalmen, biblischen und hymnischen Texten. In Gemeinschaft gebetet liefert es eine unglaubliche Möglichkeit, sich in die Anbetung Gottes hineinfallen zu lassen. Alle Texte, die man dabei betet, sind im Stundenbuch vorgegeben. Man muss nur zuhören und mitsingen, immer abwechselnd, mal der Vorbeter und dann wieder die Gemeinschaft, hin und her. Alle Texte zeugen von den großen Taten und der Herrlichkeit Gottes.

Seitdem ich dieses Gebet in unserer Klostergemeinschaft mehrmals täglich beten darf, hat Gott mich mächtig in die Freiheit geführt, im Gebet die Ebene der Worte zu verlassen und eine höhere Ebene im Lobpreis zu betreten, nämlich die Ebene des Herzens. Gerade beim Stundengebet geht es nämlich nicht darum, sich jedes einzelne Wort, so wie man es aus dem Buch „vorliest“, zu eigen zu machen und so zu meinen, wie man es liest. Vielmehr soll man in einem gewissen Kreisen um die Taten Gottes an seinem Volk lernen, ihm selbst ins Angesicht zu schauen. Dasselbe Prinzip verfolgt der Rosenkranz: Das dauernde Betrachten bestimmter Ereignisse im Leben Jesu stellt uns seine Persönlichkeit vor Augen. Die häufige Wiederholung bestimmter Themen und einzelner Texte schält sozusagen die Botschaft des gesprochenen Gebetes aus den Worten heraus und ergibt aus den vielen Zeilen toter Buchstaben ein plastisches Bild von Gott. Wir schauen ihm ins Angesicht. Wir lernen ihn wirklich als unser Gegenüber kennen.

Gott will keine schlaue Rede, sondern echte Herzenshaltung

Und das nennen wir Gebet. Was zählt, ist die Herzenshaltung, oder – wie der heilige John Henry Newman sich nach Franz von Sales ausdrückte –, dass mein Herz zu Gottes Herz spricht und umgekehrt.

Ich glaube, das ist es, was meine Tante „heilige Routine“ nannte. Über eine festgelegte äußere Form, die einzig und allein Mittel zum Zweck ist, schenkt uns Gott beim andächtigen Wiederholen von Bibelversen, dem Refrain eines Lobpreisliedes oder auch einfach beim Aussprechen des Namens Jesu seine heilige Gegenwart. Wir müssen uns nur überwinden und uns in diese Gebetsformen auch ein wenig einüben. Man kann das Schwimmen auch mehr genießen, wenn man es nicht erst lernen muss, sondern schon beherrscht. Aller Anfang kann sich mühselig gestalten, doch letzten Endes hat ein bisschen Engagement und Durchhaltevermögen noch keiner Beziehung geschadet, auch der zu Gott nicht.