Vor Ort · Jugendwerkwoche

Ein Netz, das sich Gemeinde nennt

Es begann damit, dass Ludwig Jetschke 2012 eine Digitalkamera geschenkt bekam. Als im Jahr darauf das neue Gotteslob herauskam, wurde der junge Organist häufig gefragt, wie dieses oder jenes Lied gesungen werde. Schließlich entschied er sich, mit seiner Kamera Tutorial-Videos aufzunehmen und bei Youtube hochzuladen. Die Tutorials wurden dankbar aufgenommen und sein Kanal „Lingualpfeife“ wurde schnell von vielen jungen Organisten abonniert. Ludwig Jetschke wurde zu DEM katholischen Youtuber. Aus dem Austausch über seinen Kanal entwickelte sich eine der größten katholischen Online-Communities Deutschlands: die Lingu-Community.

von Raphael Schadt · 19.02.2020

Beim Workshop „Geistliche Begleitung Online – Ein Einblick in die digitale Seelsorge am Beispiel der Online-Community Lingualpfeifen.”, der im Rahmen der Jugendwerkwoche des Bistums Augsburg stattfand, erzählten Pfarrer Andreas Demel, Leiter der Pfarreiengemeinschaft am Blender, und Ludwig Jetschke, Initiator der Online-Community, von der Entwicklung ihrer Arbeit.

Seit 2015 ist es möglich, via Youtube live zu streamen. Ludwig Jetschke griff dieses Mittel auf, um mit der mittlerweile gewachsenen Community in direkten Kontakt zu treten. In diesem Live-Stream ergaben sich Gespräche über zwei Stunden, bei denen er anfangs keine inhaltlichen Vorbereitungen traf, denn die Community hatte die Themen mit ihren Fragen vorgegeben.

Ludwig Jetschke alias Lingualpfeiffe
Pfarrer Andreas Demel, Leiter der Pfarreiengemeinschaft am Blender, und Ludwig Jetschke mit dem gelben Hoodie, Initiator der Online-Community „Lingualpfeiffe".
Pfarrer Andreas Demel

Organischer Netz-Gemeindebau im Modus „Trial-and-Error”

Von da an entwickelte die Community im Modus „Trial-and-Error“ ihre Struktur ausgehend von Problemen, die auftauchten. „Alle Formate sind Zufallsprodukte und haben sich aus der Not entwickelt.“ sagt Jetschke.

Nachdem die Kommunikation bei Facebook und Youtube als zu lose empfunden wurde, bauten Jetschke und seine Mitstreiter Whatsapp-Gruppen und -Broadcasts auf, was der Startschuss für intensivere pastorale Arbeit war. Debatten in den Whatsapp-Gruppen wurden hier und da jedoch so intensiv, dass eine Entschleunigung nötig wurde. Jetschke schlug vor, gemeinsam ein Vaterunser im Chat zu beten. Jeder ein Wort. Dadurch fand so etwas wie eine Sakralisierung des Gruppenraumes statt. Das Beten wurde häufiger und wurde schließlich in eine andere Whatspp-Gruppe ausgelagert. Seither besteht dort eine 24/7-Gebetskette.

Weitere Problemlösungen wurden notwendig, nachdem Jetschke während einer Sendung empfohlen hatte, vor dem Osterfest beichten zu gehen. Wenig später bekam er gleich von mehreren, die dem Aufruf gefolgt waren, die Rückmeldung, dass ihre Beichte eine eher unerfreuliche Erfahrung gewesen war. „Ich hab das jetzt mal gemacht – und es war Scheiße!” Die Beichtpräsenz eines Ordens, wo der Beichtstuhl „warmgehalten“ wurde, war nicht vorbereitet auf jemanden, der nach 20 Jahren eine Lebensbeichte ablegen wollte. „Man kann nicht für die Beichte werben, wenn es zu einem Fiasko führt.”

Das „Beichts-Tool“

Unter dem Arbeitstitel „Beichts-Tool“ wird versucht, Priester zu gewinnen für eine flächendeckende Versorgung für Beichtwillige aus der Community. Mittlerweile funktionieren Empfehlungen für regionale Beichten selbstorganisiert über die Community.

Pfarrer Andreas Demel, der krankheitsbedingt viel Zeit im Klinikbett verbringen musste und so viel Gelegenheit zur Online-Seelsorge hatte, sagt: „Ich war in einer Gruppe und wurde gefragt, ob ich Priester bin – dann ging es los mit dem Beichten. Manche fuhren 600 km zu mir zum Beichten.“ Das seelsorgerische Gespräch geht ja auch über Skype oder Whatsapp – die Absolution bzw. eine kürzere Beichte gibt es dann vor Ort.

Bei Gebetsgruppen mit über 100 Leuten ist die statistische Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand in existenzielle Not gerät. Todesfälle etwa kommen immer wieder vor. Dann ist der Gebets-Chat aktiv. Begleitung oder Nachsorge finden aus der Community heraus statt: ein einfaches „Wie geht’s“ hilft schon. Oder ein „Ich wohne auch da, ich komm vorbei.“

Für die kirchliche Medienarbeit empfahl Jetschke eine Priorisierung der konkreten Person und sich Zeit zu nehmen, wenn sich jemand über die sozialen Netzwerke meldet, statt auf große Reichweite zu setzen. „Es geht nicht darum, jemanden zu ‚kriegen‘, sondern da zu sein, wenn jemand in existenzielle Not gerät.” Außerdem müssse die Kommunikation absichtsloser werden, denn keiner wolle Kleingedrucktes oder AGB nachgereicht bekommen. „Die Community funktioniert, weil wir keine Hintergedanken haben.”

Online wird Offline

Doch allzu lange blieb die Online-Seelsorge nicht auf einen virtuellen Raum beschränkt. Bald werden aus den Online-Treffen Treffen an konkreten Orten. Seit September 2018 finden Begegnungen mit Menschen aus ganz Deutschland statt. Beim ersten Treffen waren es 15, dann 35, dann 70 Menschen. Es kommen Leute, die in der Kirche randständig geworden sind. Suchende finden. Übriggebliebene, wie etwa älter gewordene Ministranten, verabreden sich, um sich in einer Region zu treffen und gemeinsam zu beten.

Ein ARD-Journalist, der das letzte Treffen begleitete, sei überrascht gewesen, lauter „normale, im Leben stehende Leute” zu treffen. Das widersprach dem Vorurteil, dass sich im Netz Nerds aus irgendwelchen Nischen treffen. „Im Internet geben wir einen konfessionellen Rahmen vor” so Jetschke. „Klar katholisch, aber ökumenisch offen. Keine Spielchen an den Rändern – das kirchenpolitische Profil wird so zentral wie möglich gehalten, weder links- noch rechtskatholisch. Wir nehmen alles auf, was die Community bringt, von tridentinisch bis Lobpreis. Aber der Schwerpunkt bleibt die kirchliche Liturgie mit Stundengebet: Unaufgeregt, mit Leichtigkeit und einem Lächeln.”

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