Tobias Haberl im Credo Talk.
Credo: Wollen Sie uns zum Einstieg erzählen, wie es zu dem Buch gekommen ist?
Tobias Haberl: Das Grundgefühl, von vielen Menschen in meinem Umfeld als gläubiger Mensch nicht mehr verstanden zu werden, begleitet mich seit Jahren. Ich habe es jedoch lange nicht als Thema identifiziert. Ob Yoga-Retreats in Südostasien oder Silent-Retreats in Luxusressorts – alles kann man machen, aber wehe, du sagst, dass du am Sonntag um 10 Uhr in die Messe gehst. Dann wirst du wie ein Marsmensch angeguckt. Ich bin nicht nur, aber auch von solchen Menschen umgeben, die sich so weit vom Christentum entfernt haben, dass sie nicht mehr nachvollziehen können, wie man heutzutage noch an Gott glauben kann.
Ich bin selbst auf dem Land groß geworden, im Bayerischen Wald, wo man sonntags zuerst in die Kirche und danach ins Wirtshaus gegangen ist. Innerhalb von 30, 40 Jahren hat sich das ins Gegenteil verkehrt. Deshalb habe ich meiner Chefredaktion vorgeschlagen, dass ich gerne über dieses Gefühl schreiben würde, denn für mich als Kind war es das Normalste der Welt. Der Essay war ein fulminanter Erfolg. Ich habe Hunderte von Zuschriften von Leuten bekommen, die sich getröstet und abgeholt gefühlt haben. Sie haben mir geschrieben, dass ich ihnen aus der Seele spreche. So kam die Idee, tiefer zu gehen und ein Buch zu schreiben – gerade für die Menschen, die nicht mehr verstehen können, wie man im 21. Jahrhundert noch Christ sein kann.
Credo: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie in einem gewissen Alter eine intensive Zuwendung zu Ihren religiösen Wurzeln erlebt haben. Steht dahinter ein bestimmtes Erlebnis, vielleicht sogar eine Gottesbegegnung?
Haberl: Zunächst einmal war ich als Erwachsener viele Jahre vom Glauben weg. Ich war kein Atheist und hätte immer gesagt, dass ich katholischer Christ bin. Für mich stand auch fest, dass Gott existiert. Ich habe den Glauben einfach nur lange nicht praktiziert. Ich war viel in der Welt unterwegs, bin viel gereist und habe erst einmal alle Prägungen und Autoritäten abgeworfen. Und dann, mit Ende 30, also vor ungefähr zehn Jahren, kam der katholische Glaube mit voller Wucht zu mir zurück.
Es gab weder ein Schlüsselerlebnis noch eine Gottesbegegnung. Es waren Begegnungen mit gläubigen Menschen, die mir wieder Lust gemacht haben, den Glauben neu kennenzulernen und an Erfahrungen aus meiner Kindheit anzuknüpfen. Außerdem hat mir im Leben etwas gefehlt. Obwohl ich ein sehr privilegiertes Leben geführt habe und führe, habe ich eine existenzielle Lücke gespürt. Irgendwann wurde mir klar: Das ist keine schönere Wohnung, keine tollere Reise – das ist Gott! So habe ich wieder angefangen, mich für ihn zu interessieren, in die Messe zu gehen und gelegentlich das Evangelium aufzuschlagen. Mit der Zeit hat sich das verselbstständigt. Dieses Buch ist mein vorläufiges Resultat. Trotzdem stehe ich erst am Anfang einer Reise, deren Ziel ich noch nicht kenne.
Credo: Welche Hoffnung haben Sie hinsichtlich der Wirkung dieses Buches – und noch grundsätzlicher – für die Entwicklung der Kirche?
Haberl: Dieses Buch hat mein Leben ordentlich durcheinandergewirbelt. Seit Wochen und Monaten bin ich damit unterwegs und habe extrem viele Lesungen und Diskussionsabende erlebt. „Unter Christen“ bewege ich mich dabei hauptsächlich. Das sind schon hoffnungsvolle Erfahrungen, weil ich unglaublich viele tolle Menschen treffe, die wertvolle Arbeit leisten – Männer wie Frauen, Kleriker wie Laien. Die Heiden, für die ich dieses Buch geschrieben habe, kennen diese Leute aber gar nicht. Auch der Blick auf die Weltkirche macht mir Hoffnung. Die Zahl der Christen ist weltweit so groß wie nie zuvor. In Afrika und Asien lassen sich so viele Menschen taufen, wie bei uns gar nicht austreten können.
Credo: Haben Sie eine Perspektive oder eine Vorstellung davon, wie Kirche in Zukunft aussehen könnte?
Haberl: Wir leben als Kirche aus der Tradition heraus und gleichzeitig auch im 21. Jahrhundert. Dieses Buch ist auch ein Plädoyer für die Pluralität innerhalb der Kirche. Ich bin jedoch nicht dafür, dass die Kirche von heute auf morgen radikal alles über Bord wirft, was 2000 Jahre lang gegolten hat. Es wäre falsch, wenn sich die Kirche zu sehr dieser Gesellschaft annähern und sich nach ihren Wünschen richten würde. Manchmal erinnert mich die Kirche an eine politische Partei, und das stört mich.
Ich habe das Gefühl, dass junge Menschen im Unterschied zu meiner Generation viel offener und positiver gegenüber der Kirche eingestellt sind. Die modernen Formen von Spiritualität sind eine große Chance für eine neue Annäherung an das Evangelium, obwohl ich selbst schon sehr über die Tradition komme. Ich merke, dass sich junge Menschen nicht nach einer verwässerten Form des Glaubens sehnen, sondern damit einverstanden sind, dass ein gläubiges Leben nicht ohne Aufgaben und Pflichten im Vorbeigehen zu haben ist. Gerade das ist ja auch der Reiz und diese sonderbare Form der Freiheit.