Die Rede ist von dem Moment, in dem Jesus am Kreuz ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46 und Mk 15,34)
In einer Predigt zu diesen Worten habe ich einmal gehört, dass eine andere Übersetzung näher am griechischen Urtext ist. Besser hieße es: „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“
Wenn man die Stelle so übersetzt, erhält man einen ganz anderen Blickwinkel auf die Gottverlassenheit des Gottessohns auf Golgotha. Dann wird deutlich, dass Jesus Gott nicht anklagt. Aus dem, was so klingt als hätte der Gekreuzigte sich eine Strafe eingehandelt, weil er Gott nicht mehr spürt, wird eine aufrichtige Frage: Herr, wozu soll das gut sein, wofür muss ich hier leiden?
Jesus legt sein Schicksal, alles, was er nicht versteht, in die Hände Gottes. Und zwar gerade, weil er es selbst nicht versteht. Er weiß, dass Gott einen Plan hat. Er weiß auch, dass dieser Plan dem Menschen – gerade in Situationen des Leidens – im Dunkeln liegt.
In der ersten Lesung am Karfreitag werden wir aber auch hören, dass Gottes Vorsehung – gerade durch Situationen des Leidens – verwirklicht wird. Dort wird es dann nach der Ankündigung des Leidens Christi heißen: „Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen.“ (Jes 53,10)
Für uns Christen ist das eine ganz große Quelle der Hoffnung! Gott, der Allmächtige, hat einen Plan mit jedem Einzelnen von uns. Und er erspart uns realistischerweise nicht das Leid, sondern gibt uns die Zuversicht, dass auch Jesus zusammen mit uns leidet. Wir leiden nicht alleine. Er hat einen Plan, und das selbst mit unserem Leiden.
In meinem Lebenslauf hat sich das ganz drastisch ausgewirkt, als ich noch Schüler war, in meiner Zeit am Gymnasium. Gerade in den ersten drei Jahren war ich Opfer von starkem Mobbing. Das war zu dieser Zeit mein ganzes Leben. Mobbing – so etwas sollte einfach keinem Kind passieren. Ich habe das damals nicht verstanden und es gibt eigentlich auch nicht viel zu verstehen: Da war ein Haufen gemeiner Mitschüler, die es einfach gebraucht haben, mich fertig zu machen. Und das ließen sie mich auch spüren. Und da war Gott, der das zuließ. Ich habe ihm Vorwürfe gemacht, war wütend auf ihn. Ein bisschen so wie der Gekreuzigte, der von Gott wissen will, wieso er ihn verlassen hat.
Ich preise den Herrn – jetzt, im Nachhinein – dass er mir die Gnade geschenkt hat, dass ich in diesen Tagen nicht mit dem Beten aufgehört habe. Es ist so wichtig für unsere Gottesbeziehung, dass wir gerade in den Zeiten, in denen wir Gott nicht spüren und es uns schlecht geht, nicht aufhören zu beten. Häufig sind das dann auch die Zeiten, in denen wir geistlich große Schritte machen, in denen wir lernen, Gott immer mehr von unserem Leben anzuvertrauen. Nicht umsonst folgt im Evangelium auf den Klageschrei Jesu am Kreuz dann das Anvertrauen des eigenen Lebens in die Hände des Allmächtigen. „Vater, in Deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 20,46)
Nach viel Kampf wurde das Verhältnis zu meinen Mitschülern über die Jahre besser. Die Wunden blieben. Durch Gottes Plan und durch seine Gnade wurden sie jedoch immer wieder zum Segen für mich und für andere. Weil ich in der Zeit des Mobbings schmerzhaft gelernt hatte, dass es nicht darauf ankommt, was andere von mir halten, wurde ich vor vielem Unheil bewahrt. Immer wieder kommt es auch vor, dass ich Leuten, die durch Ähnliches gehen, Trost bereiten kann, weil ich nachvollziehen kann, wie sie sich fühlen. Gott hat mir und anderen durch meine Verletzungen ein Stück Heilung geschenkt.
Ich finde das faszinierend: Es scheint wirklich in der Logik Gottes zu liegen, seinen Weg mit uns zu gehen und sich an allem zu bedienen, durch das wir schon geprägt worden sind. Nach der Schule hatte ich dann das Glück in der katholischen Jugendbewegung Jugend 2000 Begegnungen mit vielen gläubigen jungen Leuten zu machen, die mich in meinem persönlichen Glauben stärkten. In einem Jahr, das ich im Basical dem Herrn schenkte, wurde ich dann ungleich mehr zurückbeschenkt von ihm. Er hat es mich immer wieder wissen lassen, dass er es wert ist, sich auf ihn einzulassen. Vielleicht auch auf ganz besondere Weise, so wie es die meisten sich nicht vorstellen können.
Im Sommer 2017 wurde dann in mir der Wunsch immer größer, mich stärker in die Vorsehung Gottes zu begeben. In mir wuchs der Gedanke, mich in einem Kloster ganz Gott zu weihen. Als ich mich auf die Suche begab, fügte es der Herr, dass ich bei den Passionisten im Kloster Schwarzenfeld sehr schnell eine Gemeinschaft fand, deren Ordenscharisma mir zusagte. Dort trat ich dann im September 2018 ein. Wir Passionisten versuchen in der Betrachtung des Leidens Christi zu erkennen, mit welcher Leidenschaft Gott uns liebt. Das wollen wir in unserer Verkündigung auch zum Ausdruck bringen. Diesen Weg hat Gott zum Königsweg gemacht, als Jesus ihn gegangen ist: den Kreuzweg, den Weg, auf dem Gott für uns gelitten hat, damit unser Leiden nicht sinnlos ist.
Der Herr hat Pläne, selbst mit meinen Wunden. Wie stark wäre es, wenn ich ihm die für seinen Plan mal zur Verfügung stellen würde.
Gott, Vater im Himmel, ich habe in meinem Leben schon viel Verwundung erlebt. Aber ich vertraue Dir! Du hast einen Plan, sogar mit meinen Narben. Die Seiten, die ich sonst niemandem zeigen will, willst Du gerne sehen. Darum bitte ich Dich: Heile, was in mir zerbrochen ist, und benütze zum Aufbau Deines Reiches, was ich von Dir geschenkt bekommen habe. Alles zu Deiner Ehre!