Spätestens Ende November werden sie wieder aus den Kisten im Keller geholt. Lichterketten in allen Formen, Farben und Leuchteffekten zieren dann die Gärten, Straßen und Wohnungsfenster. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – manchmal auch zum Leidwesen der Nachbarn. Was aber alle gemeinsam haben: Sobald es dunkel wird, beginnen sie zu leuchten. Und irgendwie gehören diese Lichter einfach dazu zur Advents- und Weihnachtszeit. Vielleicht, „weil`s einem dann so warm wird um’s Herz“. Da darf’s dann auch mal ein bisschen mehr sein. Kurz gesagt: Wir Menschen sehnen uns nach Licht in der Dunkelheit.
Das Volk das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht. (Jes 9)
Und das schon immer. Auch schon zum Zeitpunkt von Jesu Geburt ersehnten sich die Israeliten einen Lichtblick. Seit etwa 500 Jahren, dem babylonischen Exil lebte das israelitische Volk nun schon unter Fremdherrschaft- oder eben metaphorisch gesprochen in Finsternis, wie es beim Propheten Jesaja heißt. Seit der Zerstörung des Tempels sehnte es sich nach dem Kommen eines Messias, eines neuen König auf dem Thron Davids. So wurde es ihnen schließlich verheißen. Doch die Realität war eine andere: König Herodes, von den Römern eingesetzt und bekannt für seine grausamen Herrschaftsmethoden, entsprach so gar nicht dem, was sich die Israeliten vorgestellt hatten:
Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht. […] Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von jetzt an bis in Ewigkeit.
(Jes 9, 1-6)
Statt Freiheit, Wohlstand und Frieden erlebte das israelitische Volk Fremdherrschaft, Unterdrückung und Armut. Eine Welt, die von Gott verlassen schien. Bis zu dem Zeitpunkt, als es das ersehnte Licht tatsächlich sehen konnten. Allen voran die Hirten, die in der Nacht von Jesu Geburt auf dunklem (!) Feld unterwegs waren und denen plötzlich eine Engelsschar in hellem Lichterglanz (!) erschien. Was eigentlich für sich allein schon verrückt genug ist, wird nur noch verrückter: Einer der Engel verkündet das, womit die Hirten in dieser Situation wohl am wenigsten gerechnet hätten: Der angekündigte Retter, der Sohn Davids, der dem Volk Frieden bringen wird, wurde gerade eben, nicht einmal weit entfernt, geboren. Das, was die Menschen so lange ersehnten, soll nun endlich eingetreten sein. Kein Wunder eilten die Hirten so schnell sie konnten zum Stall, um sich von dieser Wahnsinns-Botschaft mit eigenen Augen zu überzeugen.
Große Erfüllung oder herbe Enttäuschung?
Was den Hirten in dieser Situation wahrscheinlich nicht so wirklich bewusst war: Dieses Kind ist zwar der seit Jahrhunderten ersehnte Retter, doch er bringt nicht die Art von Rettung, die sich die Israeliten gewünscht hätten. Schließlich hofften sie auf einen mächtigen Herrscher, der das Volk Israel in die Freiheit, ins Licht, führt. Doch es kam anders. Jesus war anders. Den Grund dafür finden wir bei einem Blick ins Matthäusevangelium. Dort wird beschrieben, wie ein Engel Josef die Geburt Jesu verkündet und ihm im Traum verheißt: „Er rettet sein Volk von seinen Sünden.“ (Mt 1,21). Damit erhält die Verheißung ganz eindeutig eine göttliche Dimension, die über das irdische Königsbild hinausgeht. Und Gott rettet die Menschheit auf seine Weise. Das gilt damals wie heute.
Klar ist es auch verständlich, dass die Israeliten sich in der damaligen Zeit nicht so sehr von ihren Sünden gefährdet fühlten, sondern von den politischen und gesellschaftlichen Zuständen. Das geht uns heute ja oft nicht anders. Ihnen ist zwar das ersehnte Licht aufgegangen, doch dieses entsprach nicht so ganz den Erwartungen und Wünschen. Da kann die große Freude, die von den Engeln auf den Hirtenfeldern verkündet wurde, schnell zur großen Enttäuschung werden.
Hätte es damals schon Weihnachtsbeleuchtung gegeben…
Was hat das all das jetzt mit dem weihnachtlichen Trend zu immer mehr Weihnachtsbeleuchtung zu tun? Vielleicht unterscheiden sich die vielen Menschen, die ihre Häuser wie wild mit Lichterketten dekorieren, gar nicht so sehr vom jüdischen Volk von damals. Hätte es damals schon Weihnachtsbeleuchtung gegeben, wer weiß…
Denn Weihnachten ist nicht zufällig das Fest, auf das sich die menschlichen Sehnsüchte und Wünsche des ganzen Jahres projizieren – und das leider viel zu oft in Enttäuschung und Streit endet, weil sich unsere Sehnsüchte eben nicht so einfach erfüllen lassen. Auch wenn wir das als Kinder immer dachten. Vor allem in diesem Corona-Jahr, wo vieles nicht nach unseren Vorstellungen gelaufen ist, wird uns das ganz bewusst vor Augen geführt.
Doch Jesus sagt „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12) und meint es auch so. Daher dürfen wir glauben, dass unsere Sehnsucht nach Licht sich erfüllt, auch wenn wir im Moment nicht das Weihnachten bekommen, das wir uns so sehr gewünscht haben – trotz all der Weihnachtsbeleuchtung. Vielleicht kann uns diese aber – so schrill sie auch sein mag – daran erinnern, dass unsere Sehnsüchte bei Jesus vielleicht nicht so erfüllt werden, wie wir es uns gerade individuell wünschen, sondern alles unter einem größeren Plan, unter einem größeren Licht steht. Ein helles Licht, das immer und überall erstrahlt und am Ende die Sehnsüchte des gesamten Gottesvolkes erfüllt.