Thema · Beichte

Auf der einen Seite, auf der anderen Seite…des Beichtgitters

Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen: das Gefühl nach der ersten Beichte. Als ich aus dem Zimmer hinausging, hatte ich ein Gefühl der Erleichterung, so sehr, dass ich meinte, einen Meter über dem Boden zu schweben. Das war so schön, dass ich am liebsten nie mehr im Leben gesündigt hätte. Leider habe ich es nicht geschafft – was nicht schlimm ist.

von Michael Kammerlander · 01.08.2016

Es folgten viele weitere Beichten. Wie viele, weiß ich nicht. Ich habe nicht mitgezählt. Doch das Erlebnis nach der ersten Beichte kam nicht mehr vor – was nicht schlimm ist. Heute weiß ich, dass es ein besonderes Geschenk Gottes war, und das bleibt es für mich auch.

Genauso bleibt aber auch das mulmige Gefühl, das jede Beichte begleitet. Obwohl ich bei einer Beichte so gut wie nie eine schlechte Erfahrung machte. Eher positive: Wenn die Weisheit des Beichtvaters einen Knackpunkt gelöst hatte, oder aus dem Mund des Beichtpriesters Gott direkt in mein Leben gesprochen hat.

Ein Jubel, wie nach dem entscheidenen Treffer bei einem wichtigen Fußballspiel

Die Schuld hat ihre schädliche Dimension, doch die Barmherzigkeit Gottes löscht sie aus. Dennoch bin ich froh über das Sakrament der Beichte. Ich weiß, dass Gott mir meine Schuld jedes Mal neu vergeben hat. Im Bild gesprochen: „Freispruch statt Knast“. Das ist das Großartige: Die Schuld hat ihre schädliche Dimension, doch die Barmherzigkeit Gottes löscht sie aus. Im weltlichen Recht müsste ich eine Schuld durch eine Geldstrafe, Sozialstunden oder gar Gefängnis abbüßen. Die Buße, die mir der Priester auferlegt, ist für mich keine Strafe, sondern eine Möglichkeit, mich bei meinem Herrgott zu bedanken.
Wenn ich heute als Priester Beichte höre, egal ob im Beichtstuhl, in der Kirchenbank oder unter freiem Himmel, bereite ich mich innerlich vor. Ich mache mir immer neu bewusst, was das bedeutet: „Im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte.“ Ein Jubel wie nach dem entscheidenden Treffer bei einem wichtigen Fußballspiel – so stelle ich mir das zu meinem persönlichen besseren Verständnis bildlich vor Augen.

Indischer Priester während des Beichtgespräches (Bild: Kaplan Michael Kammerlander)

Wenn ich heute als Priester Beichte höre, egal ob im Beichtstuhl, in der Kirchenbank oder unter freiem Himmel, bereite ich mich innerlich vor. Ich mache mir immer neu bewusst, was das bedeutet: „Im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte.“

„Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“, sagt Jesus seinen Jüngern zu. Wenn ich in der Vollmacht Christi die Lossprechung gebe, ist dem Beichtenden vergeben. Egal, ob jemand die Eltern angelogen, oder einen Millionenbetrag an Steuern hinterzogen hat. Gott selbst handelt an ihm oder ihr, unter der Garantie des Sakramentes. Nicht zuletzt bete ich dann immer: „Gott, was willst du diesem Menschen sagen? Was muss er hören? Sprich am besten du durch mich!“ Dann bin ich bereit.

Das Beichtgeheimnis ist so selbstverständlich wie verbindlich

Wenn dann die Gläubigen kommen, dürfen sie auf meine absolute Verschwiegenheit zählen.

Das Beichtgeheimnis ist so selbstverständlich wie verbindlich. Als Beichtvater versuche ich zu handeln, wie es Christus entspricht: Das oberste Ziel meiner Reaktion ist das Seelenheil. Um den Beichtenden gerecht zu werden, werde ich als aufmerksamer Zuhörer unterschiedliche Rollen annehmen müssen, wie auch Christus bei seinen Begegnungen je unterschiedlich reagiert hat: als Arzt, der die richtige Diagnose stellt und das richtige Medikament verordnet; als Prophet, der Fehlentwicklungen aufdeckt, damit diese korrigiert werden können. Einige erwarten den verständnisvollen Zuhörer, andere vor allem den Sündenvergeber. Ich werde angefragt als Fachmann für religiöse Fragen und Experte für geistliches Leben. Wieder andere sehen in mir den vertrauten Freund, dann muss ich wieder der strenge Vater oder der gütige Großvater sein. Das gelingt oft gut, manchmal hervorragend, selten nicht so. Jedoch merke ich, dass das Wirken des Heiligen Geistes im Sakrament real ist. Das spüren die Beichtenden, das spüre ich als Beichtpriester: der Frieden, die Freude, die sich entwickelnde Sympathie, all diese und andere positiven Nebenwirkungen, die das Großartige, das unsichtbar passiert, erleben lassen. Wie Gott neben der Vergebung sie zusätzlich beschenkt, ist ihm überlassen. Er tut es jedoch oft.

Wenn die Beichtzeiten vorbei sind, gebe ich das Erlebte im Gebet an Gott zurück.

Belastend ist das Gehörte selten, denn die vergebene Schuld ist passé. Sie spielt keine Rolle mehr, und auch ich kann sie getrost vergessen. Das mir entgegengebrachte Vertrauen, wenn jemand mich als Beichtvater wählt und einen Blick in seine Seelensituation gewährt, das sind Momente, die das priesterliche Bewusstsein stärken.

Einmal habe ich den Satz gehört: „Wenn du einem Priester etwas Gutes tun möchtest, geh bei ihm beichten!“ Da ist was dran.