Vor Ort · Ein Zeugnis

Warum ich die Kirche liebe?

Ich liebe die Kirche. Wirklich leidenschaftlich. Im besten Sinn des Wortes. Weil es zum einen meint, dass ich sie mit viel Herz liebe. Und zum anderen diese Liebe das „mit ihr leiden“ einschließt. Das klingt in der heutigen Zeit vielleicht tatsächlich ein bisschen abwegig?

von Kim Laura Reicherter · 26.10.2022

Junge Menschen auf einem Hügel
Symbolbild. Landschaft und Gemeinschaft machen Heimat. Bild: Noah Benjamin, unsplash.com

Wir lieben Menschen. Wir lieben die Natur. Wir lieben unsere Hobbies, Musik, Sport, Kunst und Theater. Wir lieben unsere Lieblingsserie, einen Ausflug in den Freizeitpark, Zeit mit unseren Freunden – aber wir lieben doch keine „Institution“, die in den letzten Jahren nur noch durch furchtbare Schlagzeilen, massiven Mitgliederverlust und ständige Überalterung glänzt?! Und doch liebe ich die Kirche. So gut ich eben kann. 

Während meines Studiums hat es mich für zwei Jahre nach Frankreich verschlagen. In ein ganz kleines Dorf in der Provence, umgeben von Olivenhainen und Weinbergen. Zum Einkaufen musste man in den nächsten Ort fahren, ca. 10 Minuten entfernt. Nach Avignon, die nächste wirklich größere Stadt, war es eine halbe Stunde. Beim Heimfahren in meine „WG“ auf einem abgelegenen Hof konnte es schon einmal passieren, dass man des Nachts von einem Rudel Wildschweine überrascht wurde, Zusammenstöße mit dem Auto konnte ich zum Glück vermeiden. 

Weltkirche im Dorf

Es war also wirklich recht abgelegen („paumé“ – würde der Franzose sagen). Und doch studierten an unserer Hochschule 60 Studenten, davon 40 Seminaristen, aus fast 20 unterschiedlichen Ländern. Es waren chinesische Studentinnen dabei, die mir hautnah davon berichteten, wie ihr Priester nach monatelangem Verschwinden mit Foltermalen tot in einem Fluss gefunden wurde. Junge Kapläne aus Afrika erzählten von den enormen Strecken, die sie auf Schotterpisten zurücklegen mussten, um von einer Gemeinde zur nächsten zu kommen.

Charismatische Studenten aus neuen geistlichen Bewegungen waren mit von der Partie, so z.B. vom neokatechumenalen Weg, der Gemeinschaft Emmanuel oder von Chemin Neuf. Es war ein ehemaliger Priester der Petrusbruderschaft Teil unserer Gemeinschaft, der in Wigratzbad studierte und mir mit seinen wenigen Brocken Deutsch erzählte, wie sehr er das bayerische Bier geliebt hat. Ein benediktinischer Bruder lehrte uns Choralgesänge. Manche waren bei den Pfadfindern. Aus jeder Ecke Frankreichs waren Seminaristen dabei. Eine Familienmama, eine Ordensschwester aus Litauen, Mexikaner, Spanier, Brasilianer… 

Kirche bei Avignon vor violettem Abendhimmel
Kapelle der Gemeinschaft Notre-Dame de Vie in Venasque bei Avignon. Bild: Kim Laura Reicherter.

Wo Christus geliebt wird

Es waren so viele unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und doch habe ich es immer als eine Einheit empfunden. Es war eine Einheit, die entstanden ist, weil wir alle Christus lieben wollten. Es ist so faszinierend zu sehen, wie er da auf unterschiedlichste Art und Weise gesucht wurde: Im stillen Gebet, im Lobpreis, in der Hl. Messe (latein, französisch oder gern auch mal mit südamerikanischem Einschlag), im Studium der Heiligen Schrift, im Rosenkranz, im Kreuzweg… Wir hatten alle ein Apostolat – in Schulen, bei lernschwachen Kindern, in der Arche, in der Pfarrei… und das alles in Wertschätzung für die jeweilige Unterschiedlichkeit.

Mir wurde in den zwei Jahren in einem kleinen provenzalischen Dorf klar, dass Kirche so viel mehr ist, als was mir bisher sichtbar vor Augen geführt wurde (oft auch in Streitereien und Diskussionen). Kirche ist keine Institution, die mir ein reines Gegenüber ist, sondern Kirche besteht aus Menschen. Sie ist eine lebendige Gemeinschaft, in der ich ein minikleiner Teil von einem großen Ganzen bin, das alle Orte und Zeiten übersteigt. In menschlichen Beziehungen kracht es mal oder gibt es Spannungen, weil es überall da, wo Menschen sind, eben nicht perfekt läuft. Das gilt auch für die Kirche. Doch ich kann die Kirche schlecht von mir trennen, weil sie irgendwie ein Teil von mir ist und ich ein Teil von ihr.

Kim Laura Reicherter
Kim Laura Reicherter. Bild: Privat.

Die Kirche ist meine Heimat

Leidenschaftlich lieben wird erst dann reell, wenn es wirklich gute und schlechte Zeiten gibt. Das bedeutet, dass ich auch manchmal mit der Kirche leide und mir vieles von Herzen weh tut. Trotzdem: Wenn mich jemand nach meiner Heimat fragt, dann zögere ich immer einen kleinen Augenblick. Ich liebe Kirchheim unter Teck, ich wohne auch sehr gerne in Augsburg und Frankreich fehlt mir jeden Tag. Aber wenn ich es mir dann immer recht überlege, dann ist meine wirkliche Heimat die Kirche. Egal, wo ich hinkomme auf der Welt, ist die Hl. Messe im Grunde immer die Gleiche. Die Menschen stellen sich ähnliche Fragen, suchen, beten und ringen. Und ich habe Brüder und Schwestern, die vorher noch gar nicht kannte und die mir doch so nahestehen. Ich liebe die Kirche, weil sie ein Teil von mir ist und ich ein Teil von ihr.