Thema · Raus aus der Blase

Kirche an neuen Orten

Unter dem Motto „Raus aus der Blase“ entdeckten die Mitarbeiter der kirchlichen Jugendarbeit im Bistum Augsburg bei der diesjährigen Jugendwerkwoche neue Wege in der Jugendarbeit. Hauptreferent Prof. Dr. Patrik C. Höring von der Phil-Theol. Hochschule St. Augustin gab dazu neue Impulse in seinem Vortrag „Von der Diakonie zur Mission? Vom Versuch, kirchliche Jugendarbeit anders zu denken“. Er lädt dazu ein, dort hinzugehen, wo die Jugendlichen sind, mit ihnen Christus zu entdecken und an völlig neuen Orten „Gemeindeformen“ zu entwickeln, die wir bisher noch nicht kennen. Credo hat mit ihm gesprochen.

von Veronika Striegel · 01.03.2019

Patrik Höring bei der Jugendwerkwoche im Haus St. Ulrich. (Bild: Veronika Striegel)

Credo: Herr Professor Höring, wie kommt die kirchliche Jugendarbeit „raus aus der Blase“?

Ich glaube, als erstes muss sie die Zielgruppe klären: wen will ich erreichen? Und dann wären die in den Blick zu nehmen, die ich bislang nicht erreiche. Zweitens sollte sie mit diesen Jugendlichen in Kontakt treten und mit ihnen entdecken, was sie bewegt an Hoffnungen, an Sorgen, an Freuden und Nöten, um mit ihnen zu überlegen, was Jugendarbeit, was Kirche zu einer Verbesserung ihres Lebens beitragen könnte. Und als drittes müsste sie mit ihnen gemeinsam entsprechende Angebote und neue Gemeinschaftsformen entwickeln.

Credo: In Ihrem Vortrag haben Sie von „Fresh Expressions of Church“ gesprochen. Was ist das?

„Fresh Expressions of Church” ist eine Bewegung der anglikanischen Kirche, die das Gründen neuer Gemeinden für eine Zielgruppe fördern will, die in bisherigen Formen nicht vorkommt. Also Menschen, die nicht kirchlich gebunden sind oder sich von der Kirche abgewandt haben. Ich finde das am Herausforderndsten. Für der Kirche nahestehende Menschen etwas zu entwickeln, ist leicht. Aber Menschen zu erreichen, die sonst keinen Kontakt zur Kirche haben oder den Kontakt abgebrochen haben, das ist eine echte Herausforderung. Zugleich entstehen mit diesen Menschen, insofern wir sie erreichen und ins Gespräch kommen, völlig neue Gemeinschaftsformen, die wir uns selbst gar nicht ausdenken können. Und damit bekommt Kirche auf einmal eine Vielfalt, die dem Evangelium gemäß ist. Die Form ist dabei völlig offen und wird gebildet durch die Menschen, mit denen wir unterwegs sind. Das ist meines Erachtens sehr glaubwürdig und wirkungsvoll, aber es braucht natürlich auch einen gewissen Mut, um auf die fremden Menschen auch zuzugehen.

Credo: Wie könnte eine solche Gemeindeform an ungewöhnlichen Orten aussehen?

Es gibt eine Fülle von kleinen Gemeindeformen, inzwischen auch im deutschsprachigen Raum, wo Menschen zusammenkommen im eigenen Wohnzimmer, in einer Kneipe, im Café und dort miteinander die Bibel lesen, miteinander beten, unaufdringlich, ohne Spektakel. Aber sie kommen in einer Weise zusammen, die mit dem zu tun hat, was sie gerne tun. Wenn Menschen gerne ins Café gehen und z. B. wie in Österreich eine Kaffeehauskultur pflegen, kann das ein Ausgangspunkt für eine „Kaffeehauskirche“ sein und man könnte eine „Kaffeehausgemeinde“ gründen. Oder Menschen, die miteinander ein Hobby betreiben, könnten miteinander entdecken, was das Hobby evtl. mit ihrem Glauben, mit ihrem Leben und ihren tiefsten Sehnsüchten zu tun hat. An diesem Punkt können sie auch schon eine Form von „Gemeinde“ werden.

Unsere Jugendkirchen sind auch solche Formen: Es werden für junge Menschen Kirchenräume bereitgestellt, die sie mitgestalten können, in der Weise, wie sie sich Kirche erträumen. Letztlich sind auch die Verbände solche Formen, da sie für eine spezielle Zielgruppe spezielle Formen von Jugendarbeit anbieten, die auch eine bestimmte Weise von Kirche-Sein mit sich tragen. Ein Pfadfinder beispielsweise lebt sein Kirche-Sein möglicherweise anders als ein KSJ-ler im Schulkontext. Also sehr stark auf den Kontext bezogene Formen von Gemeinde ernst zu nehmen, weiterzuentwickeln und neu zu gründen.

Credo: Gibt es weitere Orte für Jugendliche, die die Basis für eine Gemeinde sein könnten, z. B. Sportvereine?

Ja, genau, es gibt ja in unserer Tradition auch katholische Sportvereine, die genau das für sich entdeckt haben: Nämlich, dass Sporttreiben als Christ möglicherweise eine andere Art und Weise von Sport ist, als wenn ich sie als Profi betreibe. Zum Beispiel Doping ist allein aus ethischer Überzeugung nicht angezeigt. Auch das könnten Orte sein, wo Menschen eben nicht nur miteinander Fußball spielen, sondern zum Beispiel nach dem Fußball zusammenbleiben, vielleicht auch einen Moment still werden und beten. Die das verlorene Spiel miteinander betrauern, aber auch miteinander den Sieg feiern. Es gibt Profisportler, die Christsein erkennbar leben, zum Beispiel, wenn sie das Spielfeld betreten. Das sind oft Sportler aus romanischen Ländern oder Lateinamerika. Im Sport ist oft sichtbar, wie man die Verbindung schaffen kann. Wir müssten einfach selbstbewusster, aber auch nicht gezwungen, solche Dinge realisieren und tun.

Credo: … auch, wenn ich nicht Theologie studiert habe?

Ganz genau, dafür braucht es kein Theologiestudium. Ich brauche dazu eine gewisse Frömmigkeit. Diese kann ich erlernen, dazu muss ich nicht studieren. Viele bringen die ja auch schon längst mit. Ich muss einfach versuchen, mir die Angst zu nehmen, dass ich als „spinnert“ daherkomme, wenn ich das tue – in unserem Kulturkreis ist das noch nicht so ganz geläufig. Freikirchen tun sich damit leichter und erwecken bei Katholiken manchmal Skepsis. Aber eigentlich ist das der Weg: In einer gesunden Weise sein Christsein sichtbar zu leben, so dass andere Menschen darauf aufmerksam werden.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch!

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