Thema · Mission – reloaded
Die Kirche muss ihr „Why“ wieder finden
von Sebastian Walter · 15.09.2022
Auf einem bayerischen Weihnachtsmarkt stand eine Mutter mit ihrem Kind vor einer Holzkrippe. Das Jesuskind auf Stroh gebettet, andächtig gerahmt von Maria und Josef. Auf die Frage des Kindes erklärte ihm die Mutter, dass es sich hier um die Darstellung eines alten Märchens handle, das Hänsel und Gretel heiße. Diese Anekdote erzählte unlängst ein Bischof. Wäre Kirche ein Unternehmen, dann hätte sie so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann: Die Zielgruppe hat ihre Botschaft einfach vergessen und ihr Image ist bestenfalls fragwürdig, wenn nicht sogar ruiniert. Was kann die Kirche jetzt tun, um ihre Mission als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott“, in einer nach-christlichen Welt zu erfüllen? Zahlreiche Reforminitiativen stellen sich bereits diese Frage. Warum sie oft wenig Erfolg haben, hat einen Grund:
„Start with Why“
Der britische Unternehmensberater Simon Sinek hat mit seinem berühmten Ansatz „Start with Why“ das moderne Changemanagement nachhaltig geprägt. Seine These: Jede Veränderung oder Reform einer Organisation muss mit der Frage nach dem „Warum“ beginnen. Es bringt nichts, an Details oder Problemen herumzudoktern, wenn nicht klar ist, warum es ein Unternehmen überhaupt geben soll, was seine tiefe Daseinsberechtigung ist. Das „Why“ ist es, so Sinek, das die Kunden spüren und das sie fasziniert, nicht so sehr bestimmte Produkte und Dienstleistungen.
Auf die Kirche angewendet bedeutet das: Unsere Reformbemühungen sollten weniger aus Strukturdebatten bestehen, sondern aus der Frage danach, warum es die Kirche überhaupt gibt und weiter geben sollte, ja muss. Der Verweis auf das große soziale Engagement der Kirche, die zahlreichen Bildungsangebote und Gemeinschaftserlebnisse greift mit Sicherheit zu kurz. Die Frage nach dem „Warum“ der Kirche muss zu Jesus Christus führen. Zum Geheimnis der Erlösung durch sein Leben, Sterben und Auferstehen, zum Geheimnis der Kirche als bleibende Anwesenheit Christi in der Welt. Dieses „Why“ ist – wirtschaftlich gesprochen – der USP, also das Alleinstellungsmerkmal der Kirche, das den Kern all ihrer kommunikativen Aktivitäten bilden sollte.
Der Missions-Komplex der Kirche
In Unternehmen macht sich seit einiger Zeit die Berufsbezeichnung „Evangelist“ oder „Chief Evangelist“ breit, also ein Repräsentant, der andere von der Mission und den Produkten des Unternehmens begeistert und visionär in die Zukunft denkt. Während sich die Wirtschaft christliche Begriffe zu eigen macht, kann man in der Kirche eine gegenteilige Tendenz feststellen: Missionarische Aktivitäten haben einen negativen Beigeschmack bekommen und gelten als verdächtig. Wir leben schließlich – so die Auffassung in vielen Ordinariaten und Pfarreien – in einer Zeit des Dialogs und der Meinungsvielfalt und wollen niemand zu unserer Überzeugung „bekehren“. Konsequent setzt man kirchlicherseits deshalb eher auf Gesprächs- und Informationsformate als auf „Mission“ und „Evangelisierung“. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Kirche an dieser Stelle von modernen Unternehmen und Start-Ups wieder das Geschäft des Evangelisieren lernen könnte: Das begeisterte persönliche Einstehen für eine überaus wichtige Botschaft!
Das Kerygma
Wenn wir von der Verkündigung einer wichtigen Botschaft sprechen, muss zuerst eine Grundsatzfrage gestellt werden: Ist eigentlich noch jemand der Meinung, dass die Kirche eine relevante, entscheidende, ja lebensrettende Botschaft für den Menschen hat? Wenn die Botschaft des Christentums lapidar ist, im Sinne eines erhebenden, ermutigenden Gedankens vielleicht, also eine Information neben vielen, dann genügt vielleicht tatsächlich die respektvolle Bereitstellung von Informationen zum Christentum über eine App, eine Website oder ein Buch, zurückhaltend, nur für Interessierte.
Wenn aber der Kern des Christentums, sein „Why“, in der Verkündigung einer lebensrettenden Nachricht besteht, die ausnahmslos jedem Menschen gilt, dann wäre etwas mehr Pathos in der Evangelisierung nicht unangebracht. Was unterscheidet die Bereitstellung von sachlichen Informationen von der christlichen Evangelisierung? Kurz gesagt: Das eine mehrt das Wissen, das andere ist ein lebensverändernder, performativer Akt. Die Kirche nennt die Verkündigung des Evangeliums Kerygma, was auf Griechisch die Kundgabe eines Herolds meint.
Das erste Kerygma wurde von Petrus an Pfingsten verkündet. Petrus stellt dem Volk hier keine Informationen bereit – er verkündet Jesus Christus als den Herrn der Welt. Und was passierte? „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz“, heißt es. Ein Kerygma bleibt eben nie ohne Folgen, entweder man lehnt es ab oder man nimmt es an. „Die nun, die sein Wort annahmen, ließen sich taufen. An diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft etwa dreitausend Menschen hinzugefügt.“
Ich wünsche der Kirche in einer nach-christlichen Gesellschaft, dass sie ihr „Why“ und die Kraft der Verkündigung wiederentdeckt. Jeder Mensch, früher wie heute, ist getrieben von der Angst vor dem Tod – dem Tod am Ende des Lebens und den tausend Toden, Sorgen, Nöten und Ängsten des Alltags. Die Mission der Kirche besteht in der Verkündigung der besten aller Nachrichten: Dass es einen gibt, der diesen Tod besiegt hat und zum Herrn geworden ist über alle Mächte und Gewalten! Mission in diesem Sinn ist kein „Überstülpen“ eigener Anschauungen, sondern das Angebot der Rettung durch Jesus Christus, der „mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“. Welchen Grund könnte es geben, diese Nachricht zurückzuhalten? Eine erneuerte Bereitschaft zur Mission sollte den Freimut von Paulus lernen: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht. Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.“