Thema · „Zwei oder drei genügen doch“

Ballast Amtskirche?

Wer einmal einen Lobpreisabend erlebt hat, dem ist wahrscheinlich das Jesuswort eingefallen: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Ja, das ist Kirche in ihrem vollen Sinn: Menschen, die Jesus anbeten, Gott im Heiligen Geist loben, in Gemeinschaft ihren Glauben teilen und bezeugen. Halleluja! Doch Moment mal, wozu dann eigentlich der ganze katholische Apparat der Amtskirche? Papst, Bischöfe, Kirchenrecht, Sakramente? Genügen nicht „zwei oder drei“ plus Jesus? Wozu brauchen wir eigentlich diese starre und hierarchische Institution Kirche? Wollte Jesus das überhaupt?

von Sebastian Walter · 12.08.2022

Amtliches Bischofssiegel aus dem 14. Jh.
Abdruck eines bischöflichen Siegels. Niederlande zwischen 1300 und 1314. Bild: Public Domain, commons.wikimedia.com

Amtskirche – kann das weg?

Die Katholische Kirche ist dieser Tage auf der Suche nach Wegen, um dem Relevanz- und Ansehensverlust in einer immer säkularer werdenden Gesellschaft entgegenzuwirken. Ein heißes Eisen ist in diesem Zusammenhang immer wieder das sakramentale Amtsverständnis der Kirche: Das Weihesakrament, mit dem wenigen Männern das Amt übertragen wird, „zu lehren, zu leiten und zu heiligen“. Es scheint, als könne vieles in der Kirche einfacher und leichter werden, wenn man veraltete Vorstellungen, wie die klerikaler „Würdenträger“, ablegen oder zumindest zeitgemäß umgestalten würde. In einer modernen Welt der Demokratie, der Pluralität und Partizipation erscheint die hierarchische Verfassung der katholischen Amtskirche einfach maximal unsexy. Sind wir nicht alle bei unserer Taufe zu „Priester, Königen und Propheten“ gesalbt worden?

Kritiker führen gerne an, dass die biblische Quellenlage für das katholische Amtsverständnis sehr dürftig ist und die Entstehung kirchlicher Ämter historisch bedingt sei. Die Ämter entstanden demnach in den ersten christlichen Jahrhunderten, als sich die Gemeinden ausbreiteten und man die Einheitlichkeit von Organisation und Lehre sicherstellen wollte. Im Mittelalter wurde dann der Klerus zu einem eigenen, privilegierten und auch politisch mächtigen Stand.

Das Trienter Konzil machte dann mit dem Beginn der Neuzeit den Deckel drauf, indem es die Sakramente und die hoheitlichen Zuständigkeiten der Kleriker genau definierte und so das Amtsverständnis der Katholischen Kirche bis heute prägt. Aus dieser Perspektive erscheint das kirchliche Amt tatsächlich als Relikt vergangener feudaler Jahrhunderte. Fazit: Eine moderne Kirche mündiger Christinnen und Christen braucht heute keine geweihten Gatekeeper mehr, um ihren Glauben authentisch zu leben. Jesus habe schließlich zu Nachfolge und Mahlgemeinschaft eingeladen und keine Behörde gegründet.

Funktionale und sakramentale Amtsstruktur

Das spezifische Amtsverständnis der katholischen Kirche erschließt sich grundsätzlich über zwei Zugänge: seinen funktionalen und den sakramentalen Aspekt. Das Amt als Funktion meint die von Gott verfügte, notwendige Einrichtung struktureller Elemente, deren Aufgabe es ist, die Kirche durch Leitung, Verkündigung und Sakramentenspendung zu erhalten. Biblisch stützt sich der funktionale Aspekt vor allem auf die berühmten Einsetzungswortwe Jesu an Petrus: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ (Mt 16,18) und „Weide meine Schafe.“ (Joh 21,17), aber auch auf weitere Zeugnisse frühchristlicher Ämter etwa in den Pastoralbriefen. 

Dass eine Organisation, um zu existieren, grundsätzlich eine funktionale Ämterstruktur benötigt, ist wenig umstritten. Auch unterschiedet sich das katholische Amtsverständnis in diesem Aspekt nicht oder kaum von dem anderer christlicher Kirchen, die ebenfalls Ämter der Leitung, der Verkündigung und der Sakramentenspendung kennen. 

Entscheidender ist das sakramentale Verständnis des kirchlichen Amtes in der katholischen Kirche. Während Kirchenauffassungen anderer Konfessionen zwischen einer universalen geistlichen Kirche Jesu Christi und deren jeweiligen Konkretisierungen in Ortskirchen und Gemeinden unterscheiden, fallen im Katholischen die universale geistliche Kirche und die sichtbare Kirche zusammen.

Leib Christi in der Welt

In der sichtbaren katholischen Kirche ist die Kirche Jesu Christi vollständig verwirklicht. Theologischer Hintergrund dieser Kirchenauffassung ist die Menschwerdung Gottes (Inkarnation), wie es das II. Vatikanische Konzil in Lumen Gentium beschreibt: Wie Gott in Jesus Christus die menschliche Natur angenommen hat, so ist auch im gesellschaftlichen, institutionellen Gefüge der Kirche Jesus Christus anwesend. Die Kirche, im Ganzen wie in jeder Gemeinde, ist der sakramentale „Leib Christi“ in der Welt.

Von hier aus erschließt sich die sakramentale Bedeutung des kirchlichen Amtes: Das Haupt des Leibes, Christus, handelt selbst und maßgeblich in der Kirche – konkret durch das Amt. Das sakramentale Amt agiert gegenüber der Gemeinde als Haupt, in persona Christi. „Ich (Christus) taufe dich.“, „So spreche ich (Christus) dich los von deinen Sünden.“, „Das ist mein Leib.“. Ohne das Weiheamt, das bestimmten Personen – im Gegenüber zur Gemeinde – das Amt des Leitens, Lehrens und Heiligens überträgt, wäre die katholische Lehre von der Kirche als „Leib Christi“ letztlich hinfällig. 

Der funktionale und der sakramentale Aspekt des kirchlichen Amtes gehen Hand in Hand. Der funktionale unterliegt der Dynamik geschichtlicher Entwicklungen und hat über die Jahrhunderte immer wieder Wandlungen erfahren. Der sakramentale Aspekt dagegen ist rein theologisch. Klar könnte die katholische Kirche viel Angriffsfläche beseitigen, indem sie das Weiheamt zugunsten eines „Allgemeinen Priestertums der Getauften“ aufgibt. Sie würde damit jedoch den radikalen Ernst der Menschwerdung Christi verlieren, der die Kirche zum Heilssakrament der Welt macht.

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