Thema · Angststörungen – was hilft?

Glaube nimmt Angst – an

Asterix und Obelix hatten bekanntlich Angst vor nichts, außer, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Aber was tun, wenn die Angst kommt? Wenn uns in unserer durchgestylten Welt doch einmal die Kontrolle entgleitet? Hilft da der Glaube? Ist die Bibel dazu da, uns die Angst zu nehmen? Peter Kettemann ist Sozialpädagoge, systemischer Einzel-, Paar- und Familientherapeut … und gläubiger Christ. Seit 2003 ist er therapeutischer Leiter der psychosozialen Einrichtung Eser 21 in Augsburg. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten, wo Glaube, Bibel und Gebet bei der Bewältigung von Angststörungen Ressourcen sein können und wo nicht.

von Raphael Schadt · 23.12.2023

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Raphael Schadt im Gespräch mit Peter Kettemann.

Credo: Als ich dich angefragt habe, mit uns über das Thema Angst zu sprechen, sagtest du, Angst sei Thema unserer Zeit. Wieso unserer Zeit?

Peter Kettemann: Weil unsere Zeit suggeriert, dass man vieles unter Kontrolle hat. Beispielsweise durch Technik. Und je mehr suggeriert wird, dass alles in Ordnung und unter Kontrolle ist, desto größer wird die Angst vor Kontrollverlust. Wenn dann tatsächlich etwas passiert, das ich nicht unter Kontrolle habe, was wir ja im aktuellen Weltgeschehen sehen, dann steigen auch die Angstreaktionen. Und in diesem Kreislauf befinden wir uns. 

Credo: Du sagtest, hinter den meisten psychischen Problemen stünde Angst. Man könnte ja auch andere Ursachen für psychische Probleme sehen. Wieso Angst?

Kettemann: Weil viele psychischen Erkrankungen Kontrollstrategien sind, um Ängsten zu begegnen. Wenn jemand Zwänge hat, eine Essstörung zum Beispiel, versucht er damit etwas zu kontrollieren, ein diffuses Gefühl in sich unter Kontrolle zu bringen. Und dieses darunterliegende Gefühl ist vielfach Angst. 

Credo: Hauptziel deiner Arbeit bzw. von Psychotherapie ist also, Leute aus ihren Ängsten zu befreien?

Kettemann: Das Hauptziel ist – und das klingt komisch – Ängste anzunehmen. Denn man kann Angst nicht bekämpfen. Der Satz „bekämpfe deine Angst“ ist sinnlos, denn wenn ich sie bekämpfe, mache ich sie groß. 

Es geht darum, Ängste zu integrieren, anzunehmen und die Dinge beispielsweise zu Ende zu denken. Also wie es dieser Herr aus eurer Straßenumfrage mit der Spinnenangst sehr toll gemacht hat: Er stellt fest er hat Spinnenangst, er beobachtet, dass es ihn lähmt und am Leben hindert und er probiert aus, ob seine Befürchtung wirklich eintritt, wenn er sich mit dieser Vogelspinne konfrontiert. Am Ende tritt die Befürchtung nicht ein. Jetzt hat er eine Vogelspinne daheim und die Welt geht nicht unter. Sein Körper reagiert und er stellt fest: „Ich kann mich ja beruhigen, bzw. es beruhigt sich in mir.”

Wenn für Asterix und Obelix das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt, dann ist alles andere okay. Alles, was darunter liegt, ist dann in Ordnung.

Credo: Apropos Himmel: Wir erleben in frommen Kreisen, dass Leute teilweise mit sehr einfachen Rezepten kommen, um psychische Probleme zu lösen: Nach dem Motto: Du brauchst nur Jesus. Hast du Vergleichbares auch schon erlebt?

Kettemann: Na ja, ich erlebe immer wieder, dass Leute zu mir kommen und nach Therapie fragen. Und eine Therapie oder Beratung dauert halt. Man geht in Beziehungsarbeit usw.. Wenn ich ihnen sage: Kommen Sie zweiwöchentlich, ein Jahr wird es dauern, antworten mache – und besonders Leute aus dem charismatischen Bereich – „Nein, ich möchte erst noch zum Seelsorger, für mich beten lassen.” Leute, die schwere Panikattacken haben! Ich bin dann lösungsneutral und sage: Ja, das ist gut, wenn Sie das machen. Aber Sie wissen ja, dass es mich gibt, wenn es nicht funktioniert.

Credo: Du würdest bei schweren Traumata oder Problemen, davon abraten, lediglich zum Seelsorger zum Beten zu gehen?

Kettemann: Natürlich! Also es geht um eine Körperstörung. Die Frage danach woran man erkennt, dass man Angst hat, ist immer eine Deutung der Körpersymptome. Von Stress. Wenn ich zum Beispiel eine Traumastörung habe, kann es der Gedanke an ein bestimmtes Ereignis sein, der Panik auslöst. Wenn ich beispielsweise Angst habe, jemandem zu begegnen, von dem ich befürchte, dass er mir Böses will, dann bleibe ich daheim. Damit habe ich die Kontrolle. Aber damit engt sich mein Leben auch ein. 

Jede psychische oder körperliche Reaktion hat ihren Sinn. Daher geht es vielmehr um Integration, statt darum, etwas „wegzubeten”. Meiner Meinung nach kann der christliche Glaube dahingehend entweder das befreiendste oder das größte Problem sein. Jesus predigt ja keine Angstfreiheit. Jesus sagt ganz konkret: In der Welt habt ihr Angst. Punkt. Dann geht es weiter: Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. 

In der Angstproblematik versuchen wir zu überwinden, ich versuche etwas unter Kontrolle zu bringen, was nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Darauf reagiert mein Körper und ich bekomme eine Angstattacke. Wenn jetzt mein Glaube ebenfalls in diese Richtung geht, mit Glaubenssätzen wie: Ich bin nur geliebt, wenn ich Vorschriften einhalte, ich einem bestimmten Bild entspreche. Dann nützt mir was die Angst anbelangt mein Glaube gar nichts. 

Vor dem Gespräch hier war ich ein bisschen angespannt. Ich hatte noch Zeit, bin drüben in den Dom gegangen und habe gesagt: Okay, Jesus, es darf alles passieren, was passiert. Und dann ist es okay. Und so kann der Glaube meiner Ansicht nach befreiend sein. Das heißt aber nicht, dass ich keine Angst mehr habe oder mich nicht fürchte. 

Es kommt natürlich auch darauf an, was für Erfahrungen ich im Bereich christliche Glaube gemacht habe. Diese können unter Umständen auch traumatisch gewesen sein. Es können sich Gottesbilder entwickeln, die eben nicht befreiend sind, sondern sehr kontrollierend. Dann sind wir wieder bei der Kontrolle und stecken in einem Angstkreislauf fest. Das finde ich leider sehr oft vor. 

Credo: Ist nun Angst zu therapieren lediglich eine Frage der professionellen psychologischen Methodik oder hat es auch mit Weltanschauung oder Religiosität zu tun?

Kettemann: Die Frage ist: Was hilft? Es gibt Weltanschauungen oder religiöse Prägungen, die eher Angst auslösen und andere die befreien. Und das ist systemimmanent. Wenn man das anschaut, sieht man das gleich. Und dann glaub ich, der Kern der christlichen Botschaft ist befreiend. 

Credo: Peter, vielen Dank fürs Gespräch.

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