Thema · christlich-jüdische Freundschaft

„Das meiste, was katholisch ist, war ursprünglich einmal jüdisch.“

„Juden und Christen sollten sich als Brüder und Schwestern fühlen“, sagt Papst Franziskus. Wie sieht es aus, wenn aus Brüderlichkeit eine christlich-jüdische Freundschaft wird? Welche Rolle spielen Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Glauben?

von Jonathan Huber · 19.05.2021

Zwei Freunde am Ufer des Ammersees
Alex Smolianitski (links) und Dekan Simon Rapp führen seit 2013 eine interreligiöse Freundschaft. Foto: privat

Wir haben mit zwei Personen gesprochen, die eine solche Freundschaft führen: Dekan Simon Rapp (50) ist Pfarrer der PG Ammersee-Ost. Der gebürtige Kemptener war zuvor sechs Jahre lang Bundespräses des Dachverbandes der katholischen Jugendverbände BDKJ. Alex Smolianitski (28) ist Digitalchef der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Er stammt aus Dortmund, hat jüdische Wurzeln und war schon für unterschiedliche jüdische Organisationen tätig.

Credo: Zwischen einem katholischen Priester aus dem Allgäu und einem jüdischen Digital-Experten aus NRW sieht man auf den ersten Blick nicht viele Verbindungen. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Alex: Im Jahr 2013 begannen die Planung für ein interreligiöses Jugendforum zum G7-Gipfel 2015 in Deutschland. Bei diesem Forum waren Vertreter aller Religionen dabei, eine extrem bunte Truppe. Ich war zu der Zeit Vorsitzender der jüdischen Bildungsorganisation „Limmud“ und genauso wie Simon bei den Vorbereitungen zum Forum dabei.

Simon: Nach dem ersten Vorbereitungstreffen in Hannover haben wir am Bahnhof auf den Zug gewartet und dabei festgestellt, dass wir beide nach Duisburg fahren, wo wir damals beide gelebt haben. Daraufhin haben wir uns dann intensiver unterhalten und anschließend auch immer wieder in Duisburg getroffen – zum veganen Essen. Wir sind am Anfang nämlich gegenseitig davon ausgegangen, dass wir uns vegan ernähren, weil es bei den Meetings zum Forum immer vegane Verpflegung gab – aufgrund der verschiedenen Religionen, die dort vertreten waren. Deswegen hat Alex immer vegane Restaurants rausgesucht. Irgendwo habe ich dann mal eine Currywurst bestellt, das hat ihn sehr erstaunt. (lacht)

Alex: (lacht) Wir haben uns immer an den ausgefallensten Orten getroffen, wo man vegan essen konnte, bis wir irgendwann nach etwa einem Jahr festgestellt haben, dass das mit der veganen Ernährung gar nicht stimmt. Das war sozusagen das gegenseitige Annähern.

„In der Freundschaft wird deutlich, welche Rolle der Glaube im privaten Kontext spielt.“

Credo: Welche Rolle spielt der unterschiedliche Glaube in eurer Freundschaft und wie geht ihr damit um?

Alex: Das Spannende war, dass wir uns in einem Kontext kennengelernt haben, in dem jeder von vornherein seine Religion sehr forciert vertreten musste. Im persönlichen Kontakt haben wir dann festgestellt, dass man dabei trotz sehr unterschiedlicher Sichtweisen gleichzeitig den eigenen Wissensschatz erweitern kann. Simon hat ja auch beruflich mit dem Glauben zu tun, bei mir ist das aktuell im Hauptberuf kein Thema, sondern eher eine Frage dessen, wie ich aufgewachsen bin. In der Freundschaft wird deutlich, welche Rolle der Glaube im privaten Kontext spielt: Wann trifft man sich, wie grüßt man, welche Sicht hat man auf das Weltgeschehen? Ich bekomme einen interessanten Einblick in eine andere religiöse Struktur – über das hinaus, was man sonst oberflächlich so mitbekommt.

Simon: Eines der spannendsten Erlebnisse unserer Freundschaft war für mich, als ich bei Alex zuhause zum Chanukka eingeladen war, das war grandios. Auf der einen Seite ist die Symbolik ähnlich zum Advent bei uns, andererseits hat es eben einen ganz anderen Hintergrund. Daran denke ich jedes Jahr im Advent gerne zurück.

„Wir zeigen dem anderen die eigene Religion, aber ohne jede ‚Werbe-Intention‘.“

Alex: Was an dem Abend sehr schön war und ich grundsätzlich in unserer Freundschaft sehr angenehm finde: Wir zeigen dem anderen die eigene Religion, aber ohne jede „Werbe-Intention“, sondern einfach als Teil der eigenen Persönlichkeit, als spiritueller Anker.

Credo: Du hast die „Werbe-Intention“ angesprochen: Inwieweit kann der missionarische Anspruch des Christentums ein Hindernis für eine jüdisch-christliche Freundschaft sein?

Alex: Es geht in einer Freundschaft ja nicht darum, dass man jemanden zutiefst davon überzeugen muss, wo man spirituell beheimatet sein sollte. Sondern eher darum, vom anderen etwas zu lernen und eine schöne gemeinsame Zeit zu verbringen. Ich glaube nicht, dass Simon versucht, mich von irgendetwas zu überzeugen, wenn wir gemeinsam am Ammersee spazieren gehen.

„Das meiste, was katholisch ist, war eigentlich ursprünglich einmal jüdisch.“

Simon: Beim Forum in Hannover, wo wir uns kennengelernt haben, waren junge Leute aus unterschiedlichsten Religionen. Da verbietet es sich erst mal, irgendeinen missionarischen Gedanken zu haben. Mit Alex habe ich einen Freund, der zwar einer anderen Religion angehört, die dem Christentum aber nicht fremd ist. Unsere Glaubensgeschichte unterscheidet sich ja erst in den letzten 2000 Jahren. Wenn ich im Theologiestudium unter vielen Dingen etwas gelernt habe, dann, dass das meiste, was katholisch ist, eigentlich ursprünglich einmal jüdisch war. Viele unserer Feste laufen ja nicht umsonst parallel, zum Beispiel Ostern und Pessach oder Chanukka und Weihnachten. Ich finde es spannend, die gemeinsamen Wurzeln zu sehen. Aber nicht, indem wir uns stundenlang über religiöse Themen unterhalten, sondern einfach, indem wir uns gegenseitig wahrnehmen. Dass Religion im Alltag eines Menschen eine Rolle spielt, das ist ja in unserer Gesellschaft schon etwas Seltenes geworden.

Credo: Die jüdisch-christliche Vergangenheit ist geprägt von Spannungen und hat sehr dunkle Kapitel. Ist das ein Thema oder sogar eine Belastung für die Freundschaft zwischen Christen und Juden?

Alex: Ich habe noch nie Schuldgefühle in der Freundschaft gespürt. Ich glaube, es geht in zwischenmenschlichen Kontakten auch nicht darum, nach hinten zu gucken, sondern das, was passiert ist, im Rücken zu haben und nach vorne zu schauen. Dann stellt man fest, wo die Gemeinsamkeiten sind und dass man – egal aus welcher Überzeugung – etwas Positives anstrebt.

„Seit ich Alex kenne, spüre ich eine andere Betroffenheit, wenn Antisemitismus in unserem Land passiert.“

Simon: Seit ich mit Alex und seiner Mutter ganz konkret Juden kennengelernt habe, spüre ich eine andere Betroffenheit, wenn Antisemitismus in unserem Land passiert oder in die Schlagzeilen gerät. Darauf habe ich jetzt einen Blick, den ich vorher nicht hatte. Da hat mich die Freundschaft durchaus geprägt.

Credo: Vielen Dank für das Interview!