Thema · Jesus Lifestyle und Tattoos?

Wenn das Bekenntnis unter die Haut geht

Tattoos begegnen uns heute überall: im Nagelstudio, an der Aldi-Kasse, beim Fitness, in der Kirche. Fast die Hälfte der jungen Erwachsenen (20-29) ist tätowiert. Sie sind längst nicht mehr nur Ausdruck von Rebellion oder Mode, sondern für viele Menschen ein tiefes, persönliches Statement. Auch Christen entdecken sie zunehmend als Möglichkeit, etwas sichtbar zu machen, das sie innerlich bewegt. Aber kann das glaubwürdig sein? Ein Blick in Geschichte, Spiritualität und Gegenwart zeigt überraschende Zusammenhänge.

von Kevin Fischer · 19.12.2025

Cristian Ramírez, ecuadorianischer Fußballspieler, mit auffälligem christlichen Tattoo. Bild: Dimka Pukalik - CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org.

„Für einen Toten dürft ihr keine Einschnitte auf eurem Körper anbringen und ihr dürft euch keine Zeichen einritzen lassen.“ (Lev 19,28)

Das bekannte Verbot aus dem Alten Testament klingt zwar eindeutig, steht aber in einem ganz anderen Zusammenhang: Es richtete sich gegen heidnische Trauerrituale und bestimmte Reinheitsregeln, die für das Volk Israel damals wichtig waren – nicht gegen Tätowierungen im modernen Sinn. Für Christen gelten diese kultischen Vorschriften jedoch nicht mehr in derselben Weise, da sie im Neuen Testament durch Christus erfüllt und damit nicht länger bindend gemacht werden.

Historische Spuren: Kopten, Pilger und Kreuzfahrer

Tätowierungen hatten schon früh einen Platz in Religions- und Kulturgeschichte. Sie galten als letzte Möglichkeit, sich eine eigene Identität zu bewahren, wenn äußere Mächte versuchten, Denken und Überzeugungen zu bestimmen. Die Haut wurde zur Grenze zwischen dem eigenen Inneren und dem Zugriff von außen.

Die koptischen Christen Ägyptens entwickelten eine ganz eigene Praxis: Zur Zeit der osmanischen Herrschaft mussten sie eine Steuer zahlen, um ihren Glauben behalten zu dürfen. Wer dies getan hatte, wurde am Handgelenk mit einem kleinen Kreuz gekennzeichnet. Die Tätowierung war ein öffentliches, unauslöschliches Bekenntnis und zugleich ein stilles Zeichen des Durchhaltens in bedrängter Zeit.

Auch Kreuzfahrer und Pilger nutzten Tattoos. Für viele, die ins Heilige Land reisten, war die eingestochene Tinte ein unverwischbares Andenken – ein sicherer Beweis dafür, dass sie die gefährliche Reise wirklich vollendet hatten. Manche ließen sich religiöse Symbole sogar in der Hoffnung stechen, im Falle ihres Todes klar als Christen erkannt zu werden und ein christliches Begräbnis zu erhalten. So wurde die Haut zu einer Art spirituellem Reisepass.

Tätowierte Sehnsucht: Wenn der Glaube sich nach außen drängt

Hinter christlichen Tätowierungen lässt sich eine tiefe Sehnsucht entdecken: der Wunsch, etwas von dem sichtbar zu machen, was das eigene Leben im Innersten prägt. Ein Tattoo kann Ausdruck dafür sein, dass der Glaube nicht nur innerlich bleibt, sondern Gestalt annimmt — so, als dränge das, was im Herzen lebt, nach außen und wolle geteilt werden.

Dabei geht es nicht um Glorifizierung. Tattoos sind kein Beweis für Glauben, keine Abkürzung zur Heiligkeit und schon gar nicht Pflicht. Aber sie können eine Form persönlicher Verkündigung sein. Ein am Körper getragenes Kreuz oder ein Bibelvers fällt auf. Menschen fragen nach dem „Warum?“. Und wer es trägt, findet sich oft mitten in Gesprächen über Hoffnung, Glauben und das, was trägt. So kann eine einfache Tätowierung Türen öffnen, die sonst verschlossen geblieben wären.

In diesem Sinn sind christliche Tattoos manchmal wie eine stille Einladung: Wer sie sieht, darf fragen. Und wer sie trägt, kann Antwort geben – nicht aufdringlich, sondern aus der eigenen Erfahrung heraus.

Mystische Linien: Die Spur Heinrich Seuses

Ein Blick in die christliche Mystik zeigt, dass die Beziehung zwischen Körper und Glauben immer wieder eine besondere Rolle spielte. Der mittelalterliche Mystiker Heinrich Seuse etwa soll sich in einer ekstatischen Erfahrung das Christusmonogramm in die Brust gestochen haben. Für ihn war der Schmerz kein Selbstzweck, sondern ein Ausdruck tiefer Liebe und Hingabe – eine Art, die Verbindung zu Christus körperlich zu intensivieren.

Darstellung des Heiligen Heinrich Seuse. Bild: El beato Enrique Susón. commons.wikimedia.org, CC SA 4.0.

Am Ende sind die Beweggründe, die heute Menschen dazu bewegen, sich christliche Motive stechen zu lassen gar nicht so verschieden. Der Wunsch, das persönliche Bekenntnis sichtbar zu machen, hat im Christentum eine lange Tradition. Es mag radikal anmuten, aber christliche Tätowierungen sind getragen von einer Sehnsucht, die über das rein Äußerliche hinausgeht.

Tattoos werden in christlichen Kreisen wohl weiterhin ambivalent betrachtet werden. Aber sie können ein Weg sein – ein persönlicher, ehrlicher Ausdruck davon, was ein Mensch in seinem Innersten bewegt. Und vielleicht spüren gerade junge Christen darin eine Form des Bekenntnisses, die zugleich alt und neu ist: ein sichtbarer Hinweis darauf, dass jemand Größeres ihre Geschichte schreibt.

Anmerkung: Der Autor trägt selbst christliche Tätowierungen.

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