Vor Ort · Vom Allgäu auf die hohe See
Auf der Kommandobrücke: Mein Weg zur Schiffskapitänin
von Verena Hößle · 12.07.2023
Aufgewachsen bin ich in einem überschaubaren, aber wunderbaren Dorf am Alpenrand. Während der Schulzeit entdeckte ich meine Leidenschaft für das Meer bei Segelurlauben mit Freunden. Das sah ich damals allerdings keineswegs als mein späteres Berufsfeld an. Zugegebenermaßen war ich planlos, was meine Zukunft anging. Ich überlegte unter anderem, nach dem Abi ein Auslandsjahr zu machen, um mir über meinen weiteren Weg klarzuwerden.
Der Gedanke meiner Familie gefiel mir
Zu der Zeit sprach ich viel mit meiner Familie, wo sie mich denn später sehen würde, und eine Antwort war: „An Bord eines Schiffes!“. Mir gefiel der Gedanke, weshalb ich mich informierte, wie ich am geschicktesten Einblicke in dieses Berufsfeld bekommen könnte. Ich bewarb mich für sechseinhalb Monate auf einem Kreuzfahrtschiff, um dort als Rezeptionistin zu arbeiten, und wurde angenommen.
Auf die Zusage folgte eine medizinische Untersuchung und ein zehntägiger Vorbereitungskurs, bei dem ich erstmals das Ausmaß meiner Bewerbung wahrnahm. Neben Erster Hilfe lernten wir, in einem Brandcontainer Feuer zu löschen, Rettungsboote mit einer Kranvorrichtung auszusetzen und einiges zur Evakuierung der Passagiere im Notfall.
Aufbruch aus dem Allgäu. Kreuzfahrtschiff ahoi!
Zwei Monate nach dem Abitur sollte es dann losgehen. Mit gepackten Koffern brachte meine Familie mich zum Hafen und der Abschied war nahe. Natürlich war ich sehr nervös, aber auch gespannt, welche Abenteuer die nächste Zeit bringen würde. An Bord lernte ich viele Crewmitglieder und Passagiere kennen, konnte mich mit unterschiedlichen Kulturen austauschen und hatte die Chance, in einigen Häfen an Land zu gehen.
Auf dem Kreuzfahrtschiff verbrachte ich auch das erste Weihnachten, das ich nicht bei meiner Familie feiern konnte. Zuerst war ich deswegen etwas traurig. Allerdings durfte ich erleben, dass trotz der Vielfalt an Nationalitäten an Bord eine kleine Gemeinschaft bestand, die den gleichen Grundgedanken bezüglich des Glaubens hatte, und man auch mit fremden Menschen ein einzigartiges Weihnachtsfest verbringen kann.
Öltanker, Seekartenbesteck, Maschinenraum
Nachdem ich ein halbes Jahr später wieder zuhause angekommen war, entschied ich mich für das Studium „Nautik und Seeverkehr“ und hatte erstaunlicherweise einen Plan, wie meine Zukunft aussehen könnte. Voller Euphorie bin ich nach Norddeutschland gezogen und nach sechs Monaten, im Rahmen des Praxissemesters, direkt wieder an Bord gegangen. Diesmal allerdings auf Öl- und Produktentankern, auf welchen ich insgesamt ein Jahr verbrachte. Neben dem Umgang mit Seekartenbesteck und dem Steuern des Schiffes lernte ich einiges über das Navigieren, aber auch über den Maschinenraum.
Sehr oft werde ich gefragt, ob ich denn nicht Heimweh hätte, was bisher allerdings nicht häufig vorgekommen ist. Es gibt Tage an Bord, an denen man der Natur ausgeliefert ist. Die Wellen sind ungewöhnlich hoch und es wird einem etwas mulmig zumute, aber schon ein paar Stunden später sitzt man wieder an Deck und betrachtet einen wunderschönen Sonnenuntergang, während Delphine neben dem Schiff springen.
Das Gefühl, am richtigen Ort zu sein
Solche Augenblicke geben mir das Gefühl, nicht alleine und am richtigen Ort zu sein, aber auch die Kraft, weiterzumachen, falls Zweifel aufkommen. Außerdem kann ich mir dem Rückhalt und der Unterstützung meiner Familie und Freunde immer sicher sein, egal wann und in welcher Verfassung ich wieder zuhause ankomme.
Wohin mich dieser Weg letztendlich führt und auf welchen Schiffen ich später arbeiten werde, steht noch in den Sternen. Sicher ist nur, dass ich mich jetzt schon auf die kommenden Reisen und Abenteuer freue. Und hoffentlich darf ich bald als Offizierin wieder auf der Kommandobrücke stehen, um neue Routen zu planen und die Welt zu erkunden.