Thema · Unerfüllter Kinderwunsch

Ohne Kind guter Hoffnung

Guter Hoffnung zu sein, ist eine alte Ausdrucksweise für „schwanger sein”. Mag heute ein positiver Schwangerschaftstest für einige ein Grund zur Verzweiflung sein, so ist es umgekehrt für viele Paare immer wieder der negative. Magali Cassar, Gründerin des Hope-Kinderwunschzeit-Netzwerks und Autorin von „Hopeful: Wie ich auf mein Wunschkind wartete und Gott mir meine Berufung schenkte”, sagt: „Leben in Fülle geht mit und ohne Kind.“ Credo im Gespräch mit Magali Cassar.

von Raphael Schadt · 19.05.2022

Portrait Magali Cassar
Magali Cassar. Gründerin des Hope-Kinderwunschzeit-Netzwerks und Autorin von „Hopeful: Wie ich auf mein Wunschkind wartete und Gott mir meine Berufung schenkte”. Bild: Privat.

Credo: Was ist deine Geschichte hinter Hope-Kinderwunschzeit?

Magali Cassar: Wir haben uns ganz klassisch kennengelernt, verliebt und geheiratet. Und nach einer Weile dachten wir, jetzt ist die perfekte Zeit, Familie zu gründen. Schwanger werden, das ist easy, dachte ich. Und innerhalb weniger Wochen hatte ich alles, was man für’s Baby braucht, besorgt und vorausgeplant, vom Baby Body bis zu den Ankündigungen.

Doch es klappte eben nicht so easy. Die Enttäuschung war groß. In der Erziehung hört man immer: Schwanger wird man schnell. Pass vor allem auf, NICHT schwanger zu werden! Dass viele Paare das aber nicht können, darüber spricht man nicht. Wir gingen auf Ursachensuche und schließlich hieß es, wir könnten auf natürlichem Weg wahrscheinlich nicht schwanger werden. 

Credo: Wie war diese Zeit für dich?

Magali: Die ersten ein, zwei Jahre waren die schlimmsten. Monat für Monat zu hoffen und dann doch der negative Schwangerschaftstest. Man fällt in ein Loch und rafft sich wieder auf. Wieder hoffen, vielleicht ist jetzt der Monat, in dem es klappt. Mich quälte die Frage: Warum klappt es einfach nicht? Warum schenkt uns Gott kein Kind? Und obwohl wir in der Ehe darüber sprachen und ich viel Unterstützung von Familie und Freunden erfuhr – ich fühlte eine tiefe Einsamkeit. Ich kannte niemanden, den es auch betraf – weil man nicht darüber spricht. 

Wenn sich das über Monate und Jahre zieht, kann es für viele Frauen in eine Art Erschöpfungsdepression, einen Kinderwunsch-Burnout, führen. Viele bezeichnen Unfruchtbarkeit als traumatisierend. Es ist wie bei einer schweren Krankheit, man ist machtlos.

Hinzu kommen gut gemeinte aber wenig hilfreiche Ratschläge. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt z. B. einen sehr anspruchsvollen Job, der mich 60 Stunden pro Woche auf Trab hielt. Viele meinten, es könnte am Job liegen: „Du solltest dich nicht so stressen, in den Urlaub fahren, dich entspannen!” Aber Frauen in der Kinderwunschzeit empfinden solche Ratschläge oft eher als Angriff. Sie tun sowieso schon ALLES dafür. Sie informieren sich, durchforsten das Netz und suchen jede denkbare Ursache bei sich selbst. 

Wir sind seit acht Jahren in der Kinderwunschzeit. Nach zwei Jahren fing ich an, das Thema anders zu betrachten und mir eine Perspektive zu suchen. Wenn man alles mit Dankbarkeit betrachtet, dann hilft das auch in schwierigen Lebenssituationen.

Credo: Was war die neue Perspektive?

Magali: Ich dachte darüber nach, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten, ging zur Pastorin meiner Gemeinde und fragte, ob es nicht eine gute Idee wäre, eine Gruppe für ungewollt Kinderlose zu gründen. Sie ermutigte mich, das Projekt selbst anzugehen und eine Gruppe zu initiieren.

So entstand 2016 die erste Hope-Gruppe München und lief direkt sehr gut an – viele Frauen waren betroffen. Wir erfuhren, was für eine wundervolle Möglichkeit es ist, einen Ort zu schaffen, an dem Frauen sich sicher und geborgen fühlen, sich austauschen können und verstanden wissen, ohne viel erklären zu müssen. Wenn z.B. eine Frau einen emotionalen Zusammenbruch hatte und traurig war, weil die Arbeitskollegin schon wieder schwanger ist, da sagt keine: „Oh, Eifersucht! Dieses Gefühl darfst du nicht haben!” Man tröstet sich, wechselt die Perspektive und baut einander auf.

Schließlich kam die Idee, viele solcher Gruppen in Deutschland entstehen zu. Ich startete einen Instagram-Account, gestaltete eine Website und ging auf Frauen zu, die sagten, sie würden gern ihr Wohnzimmer und ihr Herz für eine solche Gruppe öffnen. Für jede dieser wundervollen Hope Group Leiterinnen bin ich heute unendlich dankbar, ohne diese Frauen würde es dieses wertvolle Angebot im deutschsprachigem Raum nicht geben.

Credo: Wie läuft so ein Abend ab?

Magali: Der zumeist monatliche Abend findet online oder vor Ort statt für circa zwei Stunden. Am Anfang steht oft ein gemeinsames Abendessen, dann eine große Austauschrunde, den die geschulten Gruppenleiterinnen moderieren. Danach kommt ein Input. Wir besprechen z. B. ein Buch, schauen eine Predigt an oder die Leiterin hat einen Kurzimpuls vorbereitet. Manchmal laden wir externe Referentinnen ein. Anschließend sprechen wir darüber. Zum Schluss gibt es meistens noch ein Gebet oder einen Segen. Das sind die drei Säulen: Austausch, Gebet und Input.

Credo: Wie lebst du die Berufung zum Muttersein, wenn es biologisch (noch) nicht geht?

Magali: Alle Frauen tragen Mütterliches in sich. Ich kenne sehr viele Frauen, die keine Kinder haben und trotzdem unglaublich viel geben als Person. Als Mentorinnen arbeiten, als Pädagoginnen, als Businessfrauen, die andere Frauen coachen, unterstützen und fördern, als Hebammen. Als Leiterin im Beruf kann ich auf Menschen achten und ein offenes Ohr haben. Wenn man die Berufung hat, kann es ein Weg sein, Pflegekinder aufzunehmen oder den Schritt der Adoption zu gehen, obwohl das nicht immer einfach ist.

Buchcover Hopeful von Magali Cassar
Buchcover von Magalis Buch „Hopeful”, das 2020 im Herder-Verlag erschienen ist. Bild: Verlag Herder.

Credo: Du hast ja ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Wie Hoffnung durch die Kinderwunschzeit trägt”. Wie kam es dazu?

Magali: Irgendwann kam der Herder-Verlag auf mich zu. Sie hatten das Thema auf dem Radar, ein bisschen gegoogelt und plötzlich hatte ich eine E-Mail im Postfach,  ob ich mir vorstellen könnte, dazu ein Buch zu schreiben. Nach ein paar Gesprächen war das Buchprojekt gestartet. 2020 war das Buch über meine Kinderwunschgeschichte und über die Erfahrungen, die ich bis dahin auch mit anderen Frauen machen durfte, geschrieben.

Credo: Hoffnung kann ja auch, wenn man starr daran festhält, ermüden oder krank machen. Wie sieht Hoffnung aus, die stark macht und nicht depressiv?

Magali: Ja, darauf zu hoffen, dass wir alle Eltern werden, wäre eine falsche Hoffnung. Ein perfektes Leben zu erwarten, ohne Schmerz und Traurigkeit – das lässt einen ausbluten. Dietrich Bonhoeffer sagt, „Ein erfülltes Leben gibt es auch trotz vieler unerfüllter Wünsche“. Ich glaube, das ist die richtige Hoffnung. Man kann auch ohne Kinder gesegnet leben, Segen schenken und mütterlich sein.

Credo: Hast du Rückmeldungen bekommen, auf das Buch hin?

Magali: Oh, ja. Ich bekomme viele Nachrichten auf Instagram oder Rezensionen im Online-Buchhandel. Oft nach dem Motto: Ich habe das Gefühl, das Buch habe ich geschrieben. Sie lesen diese Zeilen und fühlen sich 1.000 % verstanden, mussten lachen, weinen. Das ermutigt mich natürlich. Dass ich Frauen eine Perspektive bzw. einen Perspektivwechsel schenken konnte, darüber bin ich sehr dankbar.

Credo: Was hat dir in dieser Situation am meisten geholfen?

Magali: Drei Dinge: Mein Ehemann! Seine Stärke und sein Gottvertrauen, dass wir alles schaffen werden. Also eine starke Ehe. Mein Glaube. Dass ich Gott und das Gebet habe und diesen Anker in meinem Leben kenne. Und drittens der Austausch mit gleichgesinnten Frauen.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch!