Thema · Seelsorge ist ...

Heilsam, aufbauend und bestärkend fürs Leben

Wo hat Seelsorge ihren Platz? Wer kann sie in Anspruch nehmen? Und für welche Themen überhaupt? Credo hat mit Angelika Maucher über diese und noch einige weitere Fragen gesprochen. Frau Maucher ist Leiterin der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum Augsburg und hat lange Zeit in der Klinikseelsorge gewirkt.

von Simone Zwikirsch · 05.08.2022

Kirche für Fernfahrer. Bild: HA Seelsorge, Bistum Augsburg

Credo: Kirche ohne Seelsorge wäre wie …?

Angelika Maucher: … ein Körper ohne Herz.

Credo: Können Sie das genauer erklären?

Maucher: Seelsorge ist, wozu Kirche da ist: Jesus, DEM Seelsorger, nachfolgen in dem Bemühen für die Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen da zu sein. Seelsorge hat viel mit Wahrnehmung und Hören zu tun: auf den Mitmenschen, sein Umfeld, auf Gott, um dann gemeinsam nächste hilfreiche Schritte zu entdecken hin zu gelingendem Leben.

Credo: Wer Hilfe für ein gelingendes Leben sucht könnte auch zum Psychotherapeuten gehen. Warum Seelsorge? Und wo liegt der Unterschied?

Maucher: Seelsorge und Psychotherapie sind verschiedene Begleitformen, die nicht in Konkurrenz stehen, sondern unterschiedliche Zugänge nutzen. Die Psychotherapie ist ein Fachgebiet, auf dem versucht wird, seelische Problemlagen und Krankheiten zu diagnostizieren und zu bearbeiten. Hintergründe können seelische Verwundungen aus der Lebensgeschichte sein, die in der Therapie aufgearbeitet werden.

In der Seelsorge stellen wir keine Diagnose. Wir bieten den Menschen Begegnung an, die auch den Glauben, den geistlichen Zugang einbezieht. Das Gespräch über die gegenwärtige Situation, über Sorgen und Nöte, Freude und Kraftquellen kann auch in ein Gebet, einen Segen oder die Feier der Sakramente münden. Manchmal helfen Bilder oder Geschichten aus der Bibel, die eigenen Erfahrungen damit zu verknüpfen. Seelsorge basiert auf der Haltung, dass wir tun, was wir können und gleichzeitig alles Gott anvertrauen, besonders auch das, was nicht zu lösen ist.

Credo: Familienseelsorge, Gefängnisseelsorge, Männer- und Frauenseelsorge, City-Seelsorge oder passend zur Ferienzeit Tourismusseelsorge … Die Liste auf Ihrer Abteilungs-Website ist lang. Gibt’s für jedes „Wehwehchen“ das passende Seelsorgeangebot?

Maucher: Unsere Gesellschaft ist sehr differenziert. Für alle möglichen Themen gibt es verschiedene Professionen und Fachkenntnisse. Ähnlich ist auch die Entwicklung in den Kirchen, weil die Lebensverhältnisse so unterschiedlich sind. So gibt es für viele Zielgruppen zu unterschiedlichen Gelegenheiten und an verschiedenen Orten spezialisierte Angebote, um möglichst vielen Menschen auf einfache Art Zugang zu ermöglichen.

Seelsorge hat nicht nur im Kirchengebäude ihren Ort, sondern im Krankenhaus, im Beratungszimmer, auf dem Spielplatz, beim Rockfestival, in der Bücherei, am Arbeitsplatz, bei Polizei und Feuerwehr, in der Natur … Und es geht nicht nur um Trost im Leid, sondern auch um Inspiration, um Förderung der Entwicklung im Glauben und im Leben, um Wohlergehen und Heil für Seele und Leib, um Gemeinschaft und Bewältigung des Alltags.

Frau Maucher im Porträt
Angelika Maucher ist Leiterin der Hauptbteilung Seelsorge im Bistum Augsburg. Bild: Nicolas Schnall (pba)

Credo: Haben Sie ein Beispiel?

Maucher: Ein Fernfahrer, der weit weg von seiner Familie vielleicht schon Tage lang unterwegs ist und schwierige Arbeitsbedingungen hat, würde nicht in die nächste Pfarrei fahren und schauen, ob er jemanden findet, mit dem er reden kann. Wenn aber ein Seelsorger vor Ort auf dem Rastplatz oder bei der Autobahnkapelle ist, ist die Chance höher, mit diesem Fernfahrer in Kontakt zu kommen und bei Bedarf für ihn da zu sein. So warten beispielsweise Fernfahrer-, Betriebs- oder Krankenhausseelsorger und -seelsorgerinnen nicht darauf, dass jemand kommt, sondern versuchen da zu sein, wo Menschen in besonderen Lebenslagen sind. Das können sehr existentielle, dramatische Situationen sein, wie Unfälle oder Katastrophen, in denen die Notfallseelsorge vor Ort ist, aber auch niederschwellige Anlaufstellen der City-Seelsorge für Menschen, die in der Stadt unterwegs sind.

Credo: Wirken sich die sinkenden Kirchenmitgliedszahlen auch auf den Bedarf an Seelsorge aus? Welche Erfahrungen machen Sie?

Maucher: Wenn Seelsorger und Seelsorgerinnen unkompliziert mit Menschen in Kontakt kommen, als hilfreich erlebt werden und die Bedeutung für das Leben spürbar wird, ist hohe Akzeptanz und großer Bedarf festzustellen. Dagegen suchen immer weniger Menschen von sich aus Seelsorge bei der Kirche. Bisher wurde Seelsorge weitgehend nur mit Kirche in Verbindung gebracht. Das verändert sich. Der Begriff Seelsorge ist nicht geschützt. Einzelne Heilpraktiker bieten Seelsorge an.

Es gibt Ausbildungen für Seelsorge, die nicht von den Kirchen getragen werden. Im Gesundheitswesen nimmt das Feld „Spiritual Care“ an Bedeutung zu. Es ist eine Herausforderung für die Kirche, sich nicht zurückzuziehen, sondern zu zeigen, was sie anbietet, nicht zu resignieren nach dem Motto „viele wollen sowieso nichts von Kirche wissen“, sondern offen zu bleiben. Wir sind nicht für uns selbst da.

Credo:  Ist das menschliche Bedürfnis nach Seelsorge eigentlich irgendwann erfüllt oder sprechen wir von einem lebenslangen Prozess?

Maucher: Menschen sind nie damit fertig, sich im Leben und Glauben zu entwickeln, sich um Leib und Seele zu kümmern, sich und andere lieben zu lernen. Erst recht nicht fertig wird man mit Gott. Von daher kann man nie sagen: „So, jetzt habe ich genug Seelsorge“.

Credo: Was ist ihre persönliche Vision für den seelsorglichen Dienst?

Maucher: Mein Wunsch ist, dass die Kirchen als Ort der Seelsorge in der Gesellschaft wahrgenommen werden, dass wir uns nicht in Insider-Kreise zurückziehen, sondern mit unserem Angebot dort sind, wo die Menschen mit ihren Bedürfnissen sind. Und ich wünsche mir, dass es viele Seelsorgerinnen und Seelsorger gibt, die in der Nachfolge Jesu so mit den Menschen umgehen wie er – so heilsam, aufbauend und bestärkend fürs Leben jetzt in dieser Welt und darüber hinaus.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch.