Thema · Beziehung zu Gott und Mensch

Was ist wahre Freundschaft?

Gute Freundschaften pflegen und wahre Freunde haben – wer will das nicht? Man kann viel über gelungene und misslungene Freundschaft sagen. Einen Gedanken, den selbst Gläubige oft gar nicht so auf dem Schirm haben, darf ich anhand der Erfahrung einer jungen Frau namens Eva stark machen.

von Weihbischof Florian Wörner · 16.03.2021

Zwei Freundinnen lachend auf einer Wiese
Weihbischof Florian Wörner über die Bedeutung Gottes für zwischenmenschliche Beziehungen und die Geschichte der Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen. Symbolbild: Joshua Golde

Eva lernte im Studium Judith kennen. Beide promovierten bei demselben Professor, trafen sich häufig und diskutierten angeregt über Themen ihres Fachgebietes. Auch menschlich entwickelten die zwei einen guten Draht zueinander, man hatte in vielen Fragen des Lebens und des Glaubens übereinstimmende Ansichten und vertraute sich gegenseitig. Sie wurden beste Freundinnen.

Doch dann kam nach Beendigung des Studiums die räumliche Trennung. Der Kontakt blieb anfangs bestehen, aber nach und nach nahm Eva wahr, dass die Mails und Telefonate nicht nur seltener wurden, sondern auch nichtssagend, ja auf einmal sogar respektlos und verletzend. Ihre Bitte um Klärung wurde mit Schweigen und schließlich Ablehnung beantwortet. Eva war irritiert und enttäuscht. Weil ihr diese Freundschaft viel bedeutete und sie doch sehr darauf gesetzt hatte, riss diese Veränderung eine tiefe Wunde in ihr auf. Ein ganzes Jahr lang konnte sie morgens nicht aufstehen, ohne dass der Gedanke an den Verlust der Freundschaft präsent war, Tränen aufstiegen und die Stimmung nach unten drückte.

Menschliche Freundschaften können die Beziehung zu Gott nicht ersetzen

An einem Morgen schlug sie die Bibel auf und stieß auf folgende Stelle im Buch des Propheten Jeremia 3,19f: [Gott spricht zu Israel:] „Ich dachte, du würdest mir zurufen: Mein Vater! und dich nicht abwenden von mir. Fürwahr, wie eine Frau gegenüber ihrem Freund treulos wird, so seid auch ihr mir treulos geworden, Haus Israel – Spruch des Herrn. […] 22 Kehrt um, ihr abtrünnigen Kinder, ich will eure Abtrünnigkeit heilen! […] 4,3 Nehmt Neuland unter den Pflug und sät nicht in die Dornen!“

Beim Lesen dieser Verse fiel es irgendwie wie Schuppen von ihren Augen: Auch wenn sie das eigenartige Verhalten ihrer Freundin immer noch nicht verstehen konnte – viel später erfuhr sie, dass eine Verleumdung die Ursache war –, so ist ihr doch klar geworden, dass es ein Fehler war, sich zu sehr an einen Menschen hinzuhängen und sich davon allzu stark beherrschen zu lassen. So sehr, dass selbst Gott nicht mehr den Raum einnehmen konnte, der ihm bisher in ihrem Leben zustand. Menschliche Freundschaften können die Beziehung zu Gott nicht ersetzen. Das führt nur zu Überforderung, Enttäuschung und Frustration. Sie empfand Dankbarkeit und Freude darüber, dass ihr die Augen geöffnet wurden und sie neu anfangen konnte.

Wahre Freundschaft mit Gott bereichert zwischenmenschliche Beziehungen

Von diesem Tag an gab es keine Tränen und keinen traurigen Gedanken mehr darüber. Sie hatte begriffen: Gott allein ist in der Lage, ihr das zu geben, wonach sie im Tiefsten sucht. Der einzige zuverlässige und wahre Freund ist Gott selbst. Alle menschliche Freundschaft, so kostbar und bedeutsam sie für unser Leben ist, hat vor allem dann Bestand, wenn wir uns die Freiheit herausnehmen, Gott an die erste Stelle zu setzen und unser Herz für ihn offen zu halten. Das wertet zwischenmenschliche Freundschaften nicht ab, sondern bereichert und stabilisiert sie vielmehr. Wo man Gott sein Herz schenkt, erfahren menschliche Freundschaften von ihm her ihre wirkliche Tiefe, Beständigkeit und Fruchtbarkeit.

Zwei Freundinnen unterhalten sich auf einem Spielplatz
Symbolbild: Bewakoof, unsplash.com

Merkmale wahrer Freundschaft

Darüber hinaus hat echte Freundschaft, wie sie uns in der Heiligen Schrift aufgezeigt wird, noch weitere Aspekte, auf die ich kurz den Blick lenken möchte. So schreibt der schriftgelehrte Weise Jesus Sirach:

1. „Denn es gibt einen Freund zum für ihn günstigen Zeitpunkt; am Tag deiner Not bleibt er nicht.“ (6,8) Wahre Freundschaft zeigt sich auch und vor allem in Notsituationen. Wenn einer wirklich Freund ist, dann hält er auch in schwierigen Situationen zu mir, während andere sich distanzieren oder mich gar verleumden, bloßstellen und ablehnen. Ein echter Freund hat keine Angst um sein Ansehen und fürchtet keinen Nachteil. Er lässt mich also nicht im Regen stehen, sondern verteidigt mich gegebenenfalls. Jesus geht in seiner Freundschaft zu uns Menschen sogar so weit, dass er sein Leben für uns hingibt. Er sagt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13).

2. „Ein treuer Freund ist wie ein starker Schutz, wer ihn findet, hat einen Schatz gefunden.“ (6,14). Ein guter Freund ist also ein Ort, wo ich immer hingehen kann, auch und gerade, wenn es schwierig wird und Probleme gibt. Dort fühle ich mich geborgen und sicher; hier kann ich alles aussprechen, was mich bedrückt.

3. „Selig, wer Klugheit findet und der zu Ohren spricht, die zuhören“ (25,9). Es gibt Menschen, die immer nur von sich selbst reden. Alles dreht sich ausschließlich um die eigene Person. Sie können nicht zuhören und so auch nicht verstehen, was andere beschäftigt, geschweige denn helfen. So kann keine echte und gesunde Freundschaft entstehen. Wahre Freunde können zuhören und interessieren sich für das, was den anderen beschäftigt.

Ungesunde Freundschaften

Schließlich sei noch ein Aspekt von Freundschaft angesprochen, der auch zur Realität unseres menschlichen Zusammenlebens gehört: Gemeint sind Freundschaften, die nicht gesund sind und schädlich sein können. Es gibt Menschen, die „klammern“ und in einer unguten Weise an anderen hängen. Unter Umständen ziehen sie ihre Freunde herunter durch ständiges negatives Denken und Reden, oder indem sie sie zu Oberflächlichkeit oder gar zu unverantwortlichen Taten verleiten. Hier kann es einmal nötig sein, von einem Menschen Abstand zu nehmen und eine solche Freundschaft zu beenden.

Grundsätzlich aber ist die Liebe – und damit die Freundschaft – eine Frucht des Heiligen Geistes. Der Geist Gottes treibt uns nicht auseinander, sondern führt uns in eine größere Freundschaft, in eine größere Liebe, in ein größeres Miteinander. Wo dieses „Größere“ in einer Freundschaft zu spüren ist, da sind wir auf dem richtigen Weg.

Weihbischof Florian Wörner
Weihbischof Florian Wörner. Foto: Nicolas Schnall, pba