Thema · Freundschaft

Vom Wesen christlicher Freundschaft

Was ist Freundschaft? Ist eine Freundschaft zwischen Christen anders? Und wie ist eine Freundschaft zu Gott möglich? Gedanken zum Wesen der (christlichen) Freundschaft.

von Prof. Dr. Wolfgang Vogl · 08.03.2021

Die menschliche Freundschaft

Die Freundschaft ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie gehört zu den höchsten humanen Gütern und wurde bereits in der Antike von Philosophen wie Aristoteles (384–322 v. Chr.) oder Cicero (106–43 v. Chr.) erörtert. Demnach bedarf die Freundschaft der Freiheit, der Gegenseitigkeit, des Vertrauens, der Treue und des tugendhaften Bemühens. So erscheint die Freundschaft als Wohlgefallen, das zwei moralische gute Personen aneinander haben. Diese menschliche Freundschaft wurde auch in der Heiligen Schrift hochgeschätzt (vgl. Sir 6,5–17), wie die Freunde Jonathan und David (vgl. 1 Sam 18,1–4) oder Jesu Freundschaft zu den drei Geschwistern Lazarus, Marta und Maria (vgl. Lk 10,38–42; Joh 11,1–45) zeigen. Diese menschliche Freundschaft, die sich nach einem Wort Jesu auch bei den Heiden findet (vgl. Mt 5,46–47), wird von der noch höheren Freundschaft überboten, die Gott selbst uns gewährt.

Ikone Christus und Abbas Menas
Die Ikone „Christus und Abbas Menas“, auch bekannt unter dem Titel „Jesus und sein Freund“ oder „Ikone der Freundschaft“, ist eine koptische Ikone des 8. Jhd. n. Chr. Foto: Louvre Museum, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Gottesfreundschaft

Jesus hat seine Jünger Freunde genannt, weil er sie an seiner Beziehung teilnehmen lässt, die er selbst zu seinem himmlischen Vater hat: „Ich habe euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15,15). Mit den Worten „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Joh 15,14), macht Jesus für seine Jünger die „Gabe“ der Freundschaft zur „Aufgabe“. So geht es nicht nur um die Pflege menschlicher Freundschaft, sondern gerade auch um die Annahme der Gottesfreundschaft, die sich mit dem Streben nach Läuterung und Heiligung des Lebens verbindet. Dabei soll man Gott immer mehr um seiner selbst willen im reinen Glauben lieben und nicht nur wegen der Freude, die man bei der Begegnung mit ihm vielleicht verspüren kann.

Die hl. Teresa von Avila (1515–1582) erlebte Jesus als ihren Freund, mit dem man freundschaftlich umgehen und sprechen darf (Vita 8,5; 37,6). Sie gelangte zu dieser innigen Gottesfreundschaft, als sie sich als fast vierzigjährige Karmelitin zur Ganzhingabe an Jesus bekehrte. Zuvor hatte sie ein durchschnittliches Ordensleben geführt und sich nicht in der Lage gesehen, auf gewisse irdische Freundschaften verzichten zu können. Erst als sie die Gnade der Ganzhingabe an Jesus anzunehmen vermochte, konnte sie in ihm den einzigen Freund finden und war gerade deshalb fähig, noch viele andere Freunde in der Welt hinzuzugewinnen, da diese nicht mehr mit der Gottesfreundschaft Jesu in Konkurrenz standen.

Die hl. Therese von Lisieux (1873–1897) sah in Jesus den göttlichen Freund, der in den Tabernakeln der Kirchen in der Eucharistie wohnt und auf die Menschen wartet, die ihn aber so sehr vernachlässigen. Nach Therese können wir durch unsere liebende Freundschaft zu Jesus das durch den Undank der Menschen betrübte Herz des Erlösers trösten und im Geist stellvertretender Sühne für die Sünder eintreten, die vergessen haben, dass uns Jesus als Freund erwartet.

Symbolbild. Foto: ©Vivida Photo PC - stock.adobe.com

Die geistliche Freundschaft

Zum Wesen der christlichen Freundschaft gehört schließlich die geistliche Freundschaft, die in der Kirche vielen Heiligen zuteil geworden ist. Wie bereits die Erfahrung der hl. Teresa von Avila zeigte, kann Gott Christen, die sich ihm ganz hingegeben haben, in besonderer Weise mit menschlichen Freundschaften beschenken. Gerade weil diese Heiligen durch ihre Ganzhingabe nicht mehr aus selbstbezogenen Motiven heraus Freundschaften suchen, um eigene Defizite zu stillen, sind sie fähig geworden, von Gott reichlich und unerwartet mit menschlichen Freundschaften beschenkt werden. Da sie Jesus allein zum Freund erwählt haben und ihnen menschliche Freundschaften nicht mehr zur geistlichen Konkurrenz werden können, werden sie fähig, Freundschaften neu zu empfangen, um diese in Reinheit zu leben und dabei auch gelungene männlich-weibliche Ergänzung erfahren zu dürfen. Die geistlichen Freunde blicken im Grunde nicht mehr einander an, um Zweisamkeit zu genießen, sondern sind einander geschenkt, um sich im Streben nach Heiligkeit anzuspornen und ihre Freundschaft ganz auf Christus als den gemeinsam Geliebten auszurichten.

Geistliche Freundespaare waren
• der hl. Franziskus von Assisi (1182–1226) und die hl. Klara (1194–1253)
• der hl. Dominikus (um 1170–1221) und Sr. Caecilia Romana (um 1203–1290)
• der sel. Jordan von Sachsen (1185/90–1237) und die sel. Diana Andalò (um 1200–1236)
• der sel. Heinrich Seuse (1295/97–1366) und Sr. Elsbeth Stagel von Töss (um 1300 – um 1360)
• der sel. Raimund von Capua (um 1330–1399) und die hl. Katharina von Siena (1347–1380)
• der hl. Philipp Neri (1515–1595) und die hl. Katharina von Ricci (1522–1589)
• P. Hieronymus Gracian (1545–1614) und die hl. Teresa von Avila (1515–1582)
• der hl. Franz von Sales (1567–1622) und die hl. Johanna Franziska von Chantal (1572–1641) oder die hl. Therese von Lisieux (1873–1897)
• die beiden Missionare Adolphe Roulland (1870–1934) und Maurice Barthélemy-Bellière (1874–1907).

Die Kirche darf sich glücklich schätzen, auf die Vorbilder vieler geistlicher Freundschaften blicken zu dürfen.