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Evangelikaler Katholizismus? – Ein Lesetipp

„Die Erneuerung der Kirche – tiefgreifende Reform im 21. Jahrhundert” so lautet die deutsche Übersetzung des Titels „Evangelical Catholicism”, eines Bestsellers von George Weigel, den wir euch heute wärmstens zur Lektüre empfehlen. George Weigel mag hierzulande nicht so bekannt sein, in den USA gehört er allerdings zu den wichtigsten Stimmen der amerikanischen katholischen Öffentlichkeit. Er ist Theologe, Autor, Publizist, Politikberater und Sozialaktivist und ausgestattet mit 19 Ehrendoktorwürden. Er gilt als DER Biograph Papst Johannes Pauls II.

von Raphael Schadt · 10.06.2019

Um gleich Missverständnissen entgegenzuwirken, wenn Weigel von „Evangelical Catholicism” spricht, schwebt ihm – wie man im Video unten sehen kann – keineswegs eine Katholische Kirche im Gewand amerikanisch-evangelikaler Mega-Churches vor, wie das eingedeutschte Wort „evangelikal“ dem deutschen Ohr suggerieren mag. Der Begriff ist ursprünglich ebensowenig wie das deutsche Wort „evangelisch” ein Abgrenzungsbegriff gegen andere Konfessionen, sondern bedeutete schlicht evangeliumsgemäß. Und das ist auch die Intention des Originaltitels: Eine Erneuerung der Kirche mit dem Evangelium als Zentrum.

Die deutsche Übersetzung hat diesen Titel „Die Erneuerung der Kirche – tief greifende Reform im 21. Jahrhundert” gewählt, um das Missverständnis, Weigel wolle eine Protestantisierung der katholischen Kirche propagieren, mit weitem Abstand zu vermeiden. Eine nachvollziehbare Wahl auch wenn dabei leider viel von der Kraft und Schärfe des ursprünglichen Titels verloren geht.

Erneuerung der Kirche! Aber wie?

Aber wenden wir uns dem Untertitel zu, der in beiden Sprachen gleich lautet: Tief greifende Reform im 21. Jahrhundert. Dass die Kirche sich permanent erneuern muss ist nicht neu und ein Blick in die Kommentarzeilen bei Facebook-Kanälen von katholisch.de und dergleichen zeigt: darüber, dass sich etwas tun muss, sind sich alle einig und es scheint, dass jeder, der eine Tastatur bedienen kann, dazu eine Meinung hat und diese auch gern kund tut. Die Fragen um synodale Prozesse und Maria 2.0 bis hin zum beißendem Sarkasmus, den man unter #KFDdancestoeverysong auf Twitter findet kann, zeigen, wie polarisiert die Meinungen zu diesem Thema in der deutschen kirchlichen Öffentlichkeit sind.

Frau liest ein Buch, Evangelikaler Katholizismus, George Weigel
Die Credo Redaktion geht mit gutem Beispiel voran. (Bild: Raphael Schadt)

In den Spuren des zweiten Vatikanums

George Weigel spannt einen Bogen ausgehend von der großen katholischen Erneuerungsbewegung – der Gegenreformation mit dem Konzil von Trient – bis zum zweiten Vatikanum – als Reaktion auf die Herausforderungen der Moderne – mit dessen Ausdeutung und Umsetzung durch die Pontifikate Johannes Pauls II und Benedikts XVI. Dabei taucht der Begriff „evangelical catholicism“, also ein im Geist des Evangeliums erneuertes, katholischen Christentum, kontinuierlich als Marke auf.

In den ersten Kapiteln steht dieser Begriff vor allem als Kontrast zu einem auf Regeln, Katechese und Frömmigkeitsübungen basierenden, gegenreformatorischen katholischen Christentum. Letzteres wertschätzt er für seine Kraft im Kontext der Neuzeit, betrachtet es aber in der Moderne als Auslaufmodell. Was die Charaktermerkmale evangeliumsgemäßer Katholizität sind, formuliert Weigel anhand von zehn Kriterien. Diese versteht er nicht als seine Privatmeinung, sondern als Resümee und Vermächtnis der Erneuerungsbestrebungen Johannes Pauls II und Benedicts XVI. infolge des Vaticanums II.

 

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Dieses Buch ist ein heißer Tipp für alle, die die kirchliche rechts-links, progressiv-konservativ Zweiteilung hinter sich lassen wollen zugunsten eines auf den Geist von Pfingsten und neuem missionarischem Elan begeisterten Christentums. Dort wo Publikationen wie „Divine Renovation“ oder „Rebuilt“ vor allem auf die praktische Umsetzung erneuerter Gemeinde zielen, dekliniert Weigels „Die Erneuerung der Kirche“ auf hohem Niveau durch, was eine Erneuerung auf dem individuellem persönlichen Feld, sowie dem strukturell-hierarchischen Feld für Laien, Ordensleute, Gemeinden und Priester, aber vor allem für Bischöfe bis hin zum Bischof von Rom bedeuten kann.

Kirche erneuern: Ein Ruf an alle

Mich hat das Buch begeistert, auch wenn ich mich beim Lesen an mancher Stelle gefragt habe, was meine Begeisterung bringt, wo doch Fragen weit außerhalb meines Einflussbereichs diskutiert werden. Das stimmt aber nicht ganz: Der Steinmetzlehrling, der den Stein bearbeitet, bearbeitet ihn anders und mit mehr Freude, wenn er weiß, dass er diese bestimmte Stelle der Kathedrale baut.

Dieses Buch schärft die Vision dessen, woran wir bauen, wenn wir uns an welcher Stelle auch immer um den Aufbau der Kirche, des Leibes Christi bemühen. Außerdem brauchen auch Bischöfe Unterstützung durch Laien, etwa in den Medien, in Schulen und Unis, die interessiert sind, verstehen und auch selbst kommunizieren können, wie eine Erneuerung der Kirche im Geist des Evangeliums aussehen kann. Ja, Evangelisierung ist Zeugnis geben, von der Liebe Gottes, aber es ist auch die Verteidigung dessen, was das Evangelium ist und was nicht. Gerade auch fromme Katholiken im deutschen Gremienkatholizismus sollten nicht nur aber auch argumentativ vorbereitet sein.

Abschließend empfehle ich jenen, die im englischen fit sind die englische Version ”Evangelical Catholicism” (erschienen 2013 bei Basic Books, 290 Seiten und incl. Versand gebraucht für unter 10 € zu finden). Jenen, die lieber ohne Wörterbuch lesen die deutsche: George Weigel „Die Erneuerung der Kirche – tief greifende Reform im 21. Jahrhundert” (erschienen 2015 im Media Maria Verlag, 416 Seiten für 24,95 €).