Vor Ort · Augsburg

Unheilbar krank: Wo ist Gott?

Meine Krankheit hat mich wie ein Schatten begleitet, aber sie wurde lange nicht diagnostiziert und so habe ich sie geschickt verdrängt. Schließlich wurden die Symptome so stark, dass ich im Krankenhaus landete und dort die Diagnose einer schweren Darmerkrankung erhielt. Im Lauf der Zeit habe ich Wege gesucht, all die ungewollten Veränderungen anzunehmen. Dabei habe ich sogar gelernt, in all den Schwierigkeiten etwas Positives zu sehen: Ich durfte im Glauben wachsen.

von Judith Pientschik · 16.07.2021

Krankenhausgang mit Infusionsflasche im Vordergrund
Arztbesuche, Operationen, Medikamente: Die Krankheit ist in Judiths Alltag allgegenwärtig. Symbolbild: © sudok1 – stock.adobe.com

Meine Diagnose liegt nun schon mehrere Jahre zurück und anders als zu Beginn der Therapie gedacht und gehofft, blieb die Besserung aus: Zusätzlich zu den Medikamenten begann der OP-Marathon. Über die Jahre kamen dadurch immer neue Herausforderungen auf mich zu und es war für mich nicht immer leicht, jede dieser Veränderungen anzunehmen: ein Stoma, chronische Schmerzen, ein offener Bauch, Erschöpfung, Wundheilungsstörungen, künstliche Ernährung über eine Sonde … – all dies wird mich auch zukünftig in meinem Leben begleiten.

Wie oft wünsche ich mir, mein Leben wäre weniger schwer. Unzählige Tränen sind deshalb schon geflossen. Gleichzeitig liegt in meinem schweren Krankheitsverlauf der Schlüssel dafür, dass ich selbst viel reifer geworden bin, mich intensiver mit meinem Glauben auseinandergesetzt und diesen letztlich ganz neu erfahren habe. Ausgangspunkt hierfür ist immer wieder die Frage: Wo in all dem, was ich gerade durchmache, ist Gott?

Die Frage nach dem Warum

Verbunden mit verschiedenen Krankheits- und Veränderungsphasen sind unterschiedliche Phasen des Umgangs damit: von Hoffen und Bangen über Zuversicht und optimistischem Kampfgeist bis hin zu Resignation, Traurigkeit, Wut und Bitterkeit. Auch die Frage nach dem „Warum?“ taucht dabei auf. Als ich mir diese Frage zum ersten Mal wirklich bewusst und existentiell gestellt habe, bin ich erschrocken und habe mich geschämt. Ich dachte, dass mir das nicht zusteht, sondern dass ich stark sein muss und Gott nicht infrage stellen, nicht an ihm zweifeln darf. Heute sehe ich diese Frage als eine Einladung und Chance, den Blick auf mein Leben, meinen Glauben und auf Gott neu auszurichten.

So oft verstehe ich nicht, warum Gott es zulässt, dass ich leide, Schmerzen habe, mit Einschränkungen und einer Behinderung klarkommen muss. Hoffnung gibt mir hier der Blick auf Jesus: Auch er spricht das Warum: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46). Sicher ist sein Warum nicht direkt mit meinem zu vergleichen, aber es tröstet mich und lässt mich hoffen. Denn auch wenn die Situation am Kreuz als tiefste Gottverlassenheit erscheinen mag, so bedeutet dies nicht das Ende, wie das offene Grab am Ostermorgen zeigt. Als Christin vertraue ich darauf, dass auch ich Anteil haben darf an diesem wunderbaren Geschehen und dass Leid, Schmerzen und das Gefühl der Gottverlassenheit nicht das Ende sind. Ich vertraue auf Gott und darauf, dass es durch ihn gut wird. Und trotz schmerzlicher Verluste und zahlreicher Rückschläge durfte ich in den vergangenen Jahren auch immer wieder Wunderbares erfahren, durfte tiefer im Glauben wachsen und konnte dadurch letztlich auch Kraft schöpfen, um in der Krankheit nicht aufzugeben. Dadurch werden die schweren Stunden der Krankheit nicht leichter oder kürzer, aber ich darf darauf vertrauen, dass Gott, so wie er bisher mit mir gegangen ist, auch weiterhin an meiner Seite ist. Immer wieder habe ich seine liebevolle Zuwendung, Geborgenheit und Güte erfahren und eine ganz neue und tiefe Beziehung zu ihm entdecken können.

Junge Frau im Krankenhausbett
Credo Autorin Judith bei einem ihrer Krankenhausaufenthalte. Foto: privat

Kraft schöpfen aus dem Glauben

Im Glauben finde ich eine Konstante, die mich trägt und auf die Verlass ist. Anders als in anderen Bereichen des Lebens kann und darf ich vor Gott so sein wie ich bin. Der Glaube gibt mir eine Perspektive in meinem Leben und eine Hoffnung auf Erlösung. Nichts in der Welt bietet mir etwas so Wundervolles wie das Ich-bin-Da Gottes.

Ich versuche, neben meinem Glauben auch aus anderen Dingen Kraft zu schöpfen – indem ich meine Lieblingsmusik höre, die Schönheit der Natur genieße, meine Seele baumeln lasse … Tagebucheinträge helfen mir, Geschehenes zu verarbeiten und zu reflektieren. Mut finde ich immer wieder in meinen Herr-der-Ringe-Büchern, die mich zu jedem Krankenhausaufenthalt begleiten. All dies ist wichtig, aber das Fundament, das mich letztlich trägt, ist der Glaube – alles Übrige kommt ergänzend hinzu.

„Jede Veränderung hat auch etwas Gutes“?

Über die Jahre habe ich gelernt: Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf. Manchmal sehe ich sie nicht sofort. Dann kann es sich lohnen, einen Schritt zurück zu gehen und den Blick neu auszurichten. Der Glaube kann mir dabei helfen, diesen Schritt zu gehen. Auch wenn es mit Schmerzen und Tränen verbunden ist, loszulassen und Veränderungen hinzunehmen, so haben sich für mich viele neue und wunderbare Türen und Wege geöffnet.

Ob jede Veränderung auch etwas Gutes hat? Nicht unbedingt auf den ersten und manchmal auch nicht auf den zweiten oder dritten Blick. Die Veränderungen, die ich durch die schwere Krankheit erfahre, hätte ich mir nie freiwillig gewünscht. Nun sind sie da und ich kann es nicht ändern. Aber ich kann Gott bitten, mir zur Seite zu stehen, mir Kraft zu geben. Gott nimmt die Probleme, die mir die Krankheit bereitet, nicht einfach weg, aber immer wieder erfahre ich, dass er mir Wegbegleiter zur Seite stellt, die mir beim Lasten-Tragen helfen, die mich ermutigen und unterstützen. Rückblickend habe ich immer wieder festgestellt, auf welch wunderbare Weise Gott mitten in meinem Leid gewirkt hat, auch wenn es mir zunächst nicht bewusst war. Und dennoch verstehe ich das Leid und meine Krankheit nicht vollständig. In Momenten, in denen mich Schmerz und Trauer überkommen, versuche ich ruhig zu werden und meine Sorgen und Lasten, letztlich aber mich ganz, in Gottes Hand zu legen. Alles kann ich ihm anvertrauen, das Schöne wie das Leid. Dadurch ist meine Krankheit wie ein Schlüssel zum Glauben – und mein Glaube wiederum das Fundament, durch das ich die schweren Zeiten der Krankheit (er-)tragen kann.