Vor Ort · In der Pfarrei

Der Geschmack des Evangeliums

Die Zukunftsperspektiven vieler Pfarreien scheinen düster, folgt man den regelmäßig veröffentlichten Statistiken zu Kirchenaustritten und Gottesdienstbesuchen. Doch es gibt noch Pfarreien, in denen alle Altersstufen, auch Familien mit Kindern, Platz finden und sich freuen, gemeinsam ihren Glauben zu feiern. Was machen diese Pfarreien anders? Reinfried Rimmel ist seit Herbst 2021 Pfarrer in Biburg und Leiter der Abteilung Evangelisierung, der Schwesterabteilung von Credo. Dort hat er die Broschüre „Der Geschmack des Evangeliums – praktische Inspirationen zur Evangelisierung“ herausgebracht. Christopher Appelt ist Anwärter auf den Diakonat und im Biburger Kirchengemeinderat. Wir haben mit den beiden über ihre Gemeinde gesprochen.

von Raphael Schadt · 15.07.2022

Gottesdienst in Biburg
Pfarrer Reinfried Rimmel in seiner Pfarrkirche in Biburg. Bild: Credo (RS)

Credo: Wie schätzen Sie den Altersdurchschnitt der Gottesdienstbesucher in Biburg?

Pfarrer Rimmel: Dadurch, dass es relativ viele Kinder sind … Ich war schon in mehrere Gemeinden, aber ich habe noch keine erlebt, wo so viele Kinder da sind, abgesehen von Gottesdiensten für Firm- oder Kommunionkinder. Vor zwei Wochen war zur Vertretung ein Ruhestandspfarrer aus Augsburg da. Das erste, was er bei unserer nächsten Begegnung sagte, war: „Du, da waren Kinder in der Kirche … Mir ist so das Herz aufgegangen.” Das war er nicht gewohnt. Daher würde ich den Altersdurchschnitt irgendwo ins Mittelfeld legen, so um die 40.

Credo: Was ist Ihr Geheimnis? Wie haben Sie das hinbekommen?

Rimmel: Die waren ja schon da. (Lacht) Schon bei meinem Einführungsgottesdienst im Herbst habe ich das wahrgenommen, dass dort junge Familien mit einer Selbstverständlichkeit aus dem Sonntag leben. Da geht mir das Herz so auf, weil ich selber so groß geworden bin. Wir sind ja Menschen, wir reagieren auf die Leute, die vor uns sind, das macht was mit uns. Und Menschen spüren im wahrsten Sinne des Wortes den Geist der Freude, der zurückkommt. 

Credo: Was zieht die Leute an?

Christopher Appelt: Ich glaube, dass Familien und Kinder sich gegenseitig anziehen. Wenn man davon erzählt, da ist ein Ort, an dem man sein darf. Wenn man sich als Familie mit jungen Kindern von den Hauptamtlichen und der Gemeinde willkommen und wertgeschätzt fühlt, trotz der Unruhe, die Kinder bedeuten, wie du weißt. Eine Familie muss den Mut haben und anfangen – die anderen kommen nach. Es hilft, in der ersten Reihe zu sitzen. Man sieht die Blicke nicht und die Kinder sehen, was vorn im Altarraum passiert. Das ist in der kleinen Biburger Kirche sehr praktisch, weil alles sehr nahe ist.

Credo: In der Gemeinde wurde die Starterbox „Der Geschmack des Evangeliums“ – übrigens in Form einer Tafel Schokolade – verteilt. Wozu?

Rimmel: Ja, wir haben schon Kritik bekommen, weil keine Schokolade drin ist. (lacht) Auslöser waren die Pfarrgemeinderatswahlen. Bei einem neu aufgestellten Gremium steht ja die Frage im Raum: Wie fangen wir jetzt an? Der Gedanke war, etwas praktisches auf den Tisch zu legen, zur Reflexion für eine erste Sitzung: Worum geht es in der Pfarrei, was tun wir hier?

Broschüre
Die Starterbox „Der Geschmack des Evangeliums“ von der Abteilung Evangelisierung im Bistum Augsburg.

Credo: Ist Biburg ein Ort an dem es nach Evangelium schmeckt?

Rimmel: Die frohe Botschaft will Menschen zusammenführen, verwandeln und aufrichten. Das passiert für uns wesentlich in der Liturgie im Gottesdienst. Und wenn Menschen regelmäßig das Evangelium hören, ihren Glauben feiern, vom Evangelium berührt werden und versuchen, es zu Hause im Alltag zu leben, dann hat diese Gemeinde mit dem Evangelium zu tun. Papst Franziskus sagt „möge das Lebenszeugnis jedes Christen den Geschmack des Evangeliums haben“. Darum geht es: Andere auf den Geschmack zu bringen. Wie Christopher sagte: Wenn einer anfängt, bringt er andere auf den Geschmack. Insofern haben wir den Geschmack vor Ort schon.

Credo: Wie sieht das aus, wenn man das Evangelium in einer Gemeinde konkret schmecken kann?

Rimmel: Die Starterbox setzt zwei „Menükarten” an den Anfang: Erstens, das persönliche Verständnis der Taufe. Ich darf erkennen, dass ich Geschöpf und Kind Gottes bin, nach der Schöpfungsordnung und durch die Taufe nach der Heilsordnung.

Und zweitens die Taufe als Auftrag. Papst Franziskus sagt es rauf und runter: Es ist kein ausschließlicher Job für Hauptamtliche. Das Phänomen in unserer Gemeinden ist ja oft, dass vorn gemacht wird und der Rest konsumiert wie Zuschauer beim Fußball. Wenn die Predigt zu lange ist, der Organist schlecht spielt, der Chor falsch singt, dann trete ich aus, weil der Service schlecht ist. Ein Schlüssel, um dieser Mentalität entgegenzuwirken ist, dass wir selbst verstehen und auf den Geschmack kommen, was es heißt, getauft zu sein. Wir sind Mitarbeiter Gottes, jeder Getaufte. Für jeden gilt wie Ignatius sagt: Handle so, als hinge alles von dir ab, aber mit dem Wissen, das es letztlich Gott tut.

Wir können Gemeinde nicht „machen”. Die zwei Karten sollen der Reflexion dienen: Was ist in unsere Gemeinde überhaupt? Was tun wir eigentlich? Was haben wir bisher getan als Pfarrgemeinderat? Wo setzen wir Schwerpunkte? Diese Karten können der Schlüssel sein, um diese Mentalität zu leben oder zu helfen. Dass Menschen spüren, wie schön es ist, Jesus, das Evangelium zu kennen und anders zu leben. Haben wir zudem eine Fischermentalität? Oft sind wir geschlossene Kreise. Kann bei uns überhaupt jemand rein kommen? Da haben Gemeinden oft große Probleme.

Credo: Geistliche Berufe stehen aktuell nicht in höchstem öffentlichen Ansehen. Christopher, du hast dich trotzdem entschieden, die Berufung des Diakons anzupacken. Was ist deine Perspektive?

Appelt: Also die Hauptperspektive ist diesem Ruf, den ich verspüre, zu folgen und treu zu sein. Ich kann nicht sagen, was in zehn oder auch zwei Jahren ist. Aber die Hoffnung ist das Evangelium, ist Jesus Christus. In dieser säkularen Zeit ist dieser Wunsch, dieser Schrei nach Gott, noch genauso da. Leute sind auf der Suche.

Als Vater bin ich erst einmal Diakon meiner Familie. Das bekommen die Nachbarn und die Kinder bei Treffen mit – und schon ist eine Art von Evangelium weitergeben, ohne dass ich etwas gesagt habe. Menschen spüren: Bin ich willkommen? Mag mich der Pfarrer, die Banknachbarin? Aber das ist keine Einbahnstraße. Der Pfarrer ist ja kein Hampelmann, der vorne etwas macht, das keiner versteht. Sondern so wie Reinfried für uns da ist, lernen wir als Gemeinde wiederum für ihn da zu sein. Wir als Gemeinde sind eins. Das ist auch eine Form von Aufbruch.

Rimmel: Mir ist in Biburg z.B. schon ein paar Mal passiert, dass Leute zu mir sagen: „Ich bete für Sie“. Das fällt mir auf. Das hat für mich den Geschmack des Evangeliums.

Diakonsanwärter Christopher Appelt und Pfarrer Reinfried Rimmel vor der Pfarrkirche St. Andreas in Biburg. Bild: Credo (RS).

Credo: Ist das, was hier in Biburg lebt, mittelfristig reproduzierbar? Oder ist es das Glück der Konzentration eines frommen Rests?

Rimmel: Es ist immer die Gnade Gottes, die vor Ort etwas wachsen lässt. Wenn wir glauben, dass der Herr versammelt, kann er Dinge geschehen lassen, die wir nicht in der Hand haben. Zum zweiten: Es ist ein Geschenk, wenn ein Kreis von Familien, von Kindern da ist und für andere die Schwelle niedriger wird, diese Kirche zu betreten. Willkommenskultur ist ein riesiges Thema für unsere Gemeinden.

Letztlich geht’s immer darum, wo kann ich im Glauben Gemeinschaft erfahren? Wo sind Räume? Wir haben ein Netz an Kirchen, in jedem schwäbischen Dorf steht eine – und viele sind zugesperrt. Dass diese Räume belebt werden durch Gebet – sei es nur einmal pro Woche eine Vesper, Anbetung oder ein Rosenkranz – und zu Räumen der Gemeinschaft werden, wo Glaube gelebt werden kann, das ist unendlich wichtig. Wenn dann Familien im Kleinen anfangen, das kann wirken, das kann Kreise ziehen. Darum ist so etwas überall möglich, wo zwei oder drei loslegen. Fang einfach etwas an!