Thema · Werke der Barmherzigkeit

Werke der Barmherzigkeit

Schon mal gehört? – Keine Ahnung? – Klingt irgendwie altmodisch, oder?
Bereits das erste Wort lässt einen stutzen: „Werk“, – das Produkt eines kreativen Prozesses oder einfach eine Handlung oder Tat? Irgendwie verbindet man damit assoziativ Anstrengung und Konzentration, keine Sache, die man en passant erledigt.

von Prof. Dr. Gerda Riedl · 12.09.2016

Otto Schliwinski, Auf der Flucht
Bild: Otto Schliwinski (geb. 1928): Auf der Flucht. Ostpreußen 1945, Privatbesitz

Und dann „Barmherzigkeit“: Ausdruck einer paternalistischen Grundhaltung, wie bisweilen zu lesen ist? – Also kein Kontakt auf Augenhöhe, sondern ein Gefälle zwischen demjenigen, der die Not lindert oder gar wendet und dem Bedürftigen! Überhebt sich derjenige, der ein Werk der Barmherzigkeit übt, womöglich selbstgefällig über den Bedürftigen? Nein, die „Werke der Barmherzigkeit“ sind – recht verstanden – mitnichten Ausdruck einer (selbsternannten) christlichen Elite, die in oberlehrerhafter Manier dem Rest etwas zukommen lässt, um sich selbst in ihrem Gut-Menschentum zu bestätigen. – Ganz im Gegenteil!

Barmherzigkeit zu üben, heißt zunächst, sie auch empfangen zu haben

Barmherzigkeit zu üben, heißt zunächst, sie auch empfangen zu haben, sich die eigene Bedürftigkeit einzugestehen: Gott hat sich uns in Gestalt des Sohnes zugewandt, unsere dunkelsten Stunden auf sich genommen und uns ein Leben in Fülle über die scheinbar unüberwindliche Grenze des Todes hinaus verheißen. – In Jesus Christus hat die Barmherzigkeit Gottes ein Gesicht bekommen: Das Erbarmen des Vaters ist die uns Menschen zugewandte Seite Gottes. So kann sich unübertroffen personale Begegnung zwischen Gott und Mensch ereignen, da Jesus Christus das vollkommene Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist (vgl. Kol 1,15).

Wer sich in diesem Bewusstsein vom dreieinen Gott getragen weiß und auf sein Leben und das der Anderen schaut, wird Dank empfinden und das Bedürfnis ein wenig von dieser geschenkten Barmherzigkeit Gottes weiterzugeben. Um dabei jedoch nicht in den Reflex zu verfallen, den wir aus dem Evangelium kennen, mit sich selbst großzügig, mit den Anderen aber sehr kleinlich umzugehen (vgl. Mt 18,23-35), bedarf es immer wieder dreierlei: Treten wir ein in die Sphäre Gottes und lassen uns heiligen; öffnen wir uns der entgegenkommenden Liebe Gottes und lassen uns mit ihm versöhnen; freuen wir uns und lassen uns von ihm reich beschenken.

Barmherzigkeit ist die Konsequenz von Güte, Nähe und Selbstlosigkeit

So bleiben die „Werke der Barmherzigkeit“ davor bewahrt Ausfluss einer Pflichtübung oder falsch verstandener Leistungsethik zu werden. Sie stehen auch nicht in Gefahr im Sinne einer von den Reformatoren zu Recht kritisierten Werkgerechtigkeit zu verkommen. Vielmehr werden sie solchermaßen zur Konsequenz aus drei zutiefst christlich durchdrungenen Grundhaltungen: Güte, Nähe und Selbstlosigkeit.

Wer vor diesem Hintergrund die sieben leiblichen und die sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit in seinem Innern bewegt, wird verstehen, was der Evangelist Matthäus meinte, als er schrieb: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden … So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5,7.16).

Die leiblichen Werke der Barmherzigkeit

Die Hungernden speisen
Den Durstigen zu trinken geben
Die Nackten bekleiden
Die Fremden beherbergen
Die Kranken pflegen
Die Gefangenen besuchen
Die Toten in Würde bestatten

Die geistlichen Werke der Barmherzigkeit

Die Unwissenden lehren
Den Zweiflern raten
Die Trauernden trösten
Die Sünder zur Umkehr ermutigen
Denen, die uns beleidigen, verzeihen
Die Lästigen ertragen
Für alle Menschen beten