Thema · Matt Talbot – Schutzpatron der Trinker

U-Turn auf dem Highway to Hell

Kursänderung können an unverhoffte Orte führen. Eigentlich wollte Matt Talbot nur mit dem Trinken aufhören. Kirche und Religion waren für ihn zunächst lediglich Hilfsmittel, um von seiner Sucht wegzukommen. Dann führte er 35 Jahre lang das Leben eines frühmittelalterlichen Mönchs inmitten einer europäischen Hauptstadt. Heute wird er als Schutzpatron der Suchtkranken verehrt.

von Dr. Peter Bornhausen · 16.06.2021

Grafitti von Matt Talbot nahe der Grattan Bridge in Dublin. Bild: William Murphy, flickr.com, CC BY-SA 2.0.

Matt Talbot wurde am 2. Mai 1856 in Dublin geboren. Er war das zweitälteste von zwölf Kindern einer armen Familie, was in Irland „bettelarm“ bedeutete. Deshalb ging er auch nicht länger zur Schule als unbedingt nötig und suchte sich schnellstmöglich einen Job. Der kaum ausgewachsene Bursche verdingte sich bei den einzig krisenfesten Unternehmen der Stadt: den Wein- und Whiskeyhändlern, die immer jemanden für Botengänge oder zum Umladen der Schnapsfässer auf den Docks brauchten. In den Arbeitspausen passte sich Talbot den Trinkgewohnheiten der älteren Kollegen an – mit dem Resultat, dass er bereits mit 13 Jahren dem Alkohol völlig verfallen war.

Highway to Hell

Matt trieb sich Abend für Abend in den zahlreichen Pubs der Stadt herum, trat aber jeden Morgen seinen Dienst pünktlich an. Inzwischen arbeitete er am Bau als Handlanger, schleppte Steine und Zement und versorgte die Maurer mit Mörtel. Half ihm seine Mutter beim Aufstehen? Wir wissen es nicht. Jedenfalls versoff er regelmäßig seinen Lohn, statt das Elternhaus etwas zu entlasten, und häufte mit der Zeit Schulden auf Schulden. Irgendwann war er so weit, dass er seine Kleider und Stiefel verpfänden musste, um weitertrinken zu können. Er sank so tief, einem Straßenmusiker die Fiedel zu klauen und zu versetzen. Eines Abends des Jahres 1884 fand er sich selbst von seinen Saufkumpanen verachtet in der Gosse sitzend wieder.

The Pledge – das Gelübde

Talbot entschloss sich, „das Gelübde abzulegen – to take the Pledge“, wie man in Irland sagte, wenn man das Trinken wirklich sein lassen wollte. Dazu ging er in die Seminarkirche des Holy Cross College in der Clonliffe Road, wo ihm der erfahrene Geistliche nach der Beichte riet, sein Versprechen erst einmal für drei Monate abzulegen. Am nächsten Morgen kehrte er zur Messe in die Kirche zurück und empfing zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder die heilige Kommunion. Nach Ablauf der drei gelobten Monate legte Matt sein Versprechen für sechs Monate ab, dann auf Lebenszeit. Er gab sogar das Rauchen auf, was ihm unsäglich schwerfiel. Nach eineinhalb Jahrzehnten exzessiven Trinkens war Talbot in einem jämmerlichen Zustand und hatte dementsprechend starke Entzugserscheinungen, so dass er sich Tag für Tag quälen musste, um sein Gelübde einzuhalten.

Er lenkte sich nach Feierabend mit ausgedehnten Spaziergängen fernab der lockenden Spelunken von seiner Sucht ab und fand Rast und Ruhe in Kirchen. Der bislang nicht sonderlich fromme Mann fing an, regelmäßig und bald täglich die heilige Messe zu besuchen und griff immer häufiger zu religiösen Schriften. Er fand Anstellung bei einer Baufirma auf den Docks, wo er die härtesten Arbeiten übernahm und sich durch Uneigennützigkeit und Hilfsbereitschaft die Achtung seiner Kollegen und Vorgesetzten erwarb. Gewissenhaft zahlte er seine Schulden zurück. Nur den einen Straßenmusiker fand er nicht wieder, um diesem die gestohlene Fiedel zu ersetzen.

Ein Lebensstil des Fastens und Betens

Talbot wurde von Michael Hickey vom renommierten Holy Cross College an die Klassiker der geistlichen Literatur herangeführt. Dieser Professor beantwortete ihm auch die vielen Fragen zu den Stellen, die er nicht verstanden hatte. Durch Hickey entdeckte Talbot die Lebensbeschreibungen irischer Mönche des 6. Jahrhunderts und ahmte diese dadurch nach, dass er seine gesamte freie Zeit mit Gebet, Fasten und religiöser Lektüre verbrachte – 35 Jahre lang. 1890 trat er dem franziskanischen Dritten Orden sowie einigen frommen Vereinigungen wie der „Total Abstinence League of Sacred Heart“ bei.

Das einzig bekannte Foto von Matt Talbot. Bildautor unbekannt, gemeinfrei.

Nach dem Tod der Mutter 1915 bezog er ein kleines, nur auf seine religiösen Bedürfnisse spartanisch eingerichtetes Zimmer. Er schlief auf einem Brett mit einem Holzscheit als Kopfkissen, stand mitten in der Nacht auf, um zum Gebet mit ausgestreckten Armen niederzuknien (das gälische Croisfhighill) und ging jeden Tag vor der Arbeit in die heilige Messe – sonntags besuchte er mehrere. Am 7. Juni 1925, dem Dreifaltigkeitssonntag, brach er auf dem Weg zu seiner dritten Messe des Tages auf offener Straße zusammen und starb an Herzversagen. Als man ihn untersuchte, fand man um seinen Leib und seine Gliedmaßen Ketten, die er nicht nur zur Buße trug, sondern auch zum Ausdruck dafür, dass er sich als Sklave Gottes und der Jungfrau Maria betrachtete.

Matt Talbot – Diener Gottes

1931 eröffnete der Dubliner Erzbischof eine Untersuchung, um die einsetzenden Forderungen nach seiner Seligsprechung zu überprüfen. Der Prozess wurde 1947 eingeleitet und kam 1972 auf Bistumsebene zum Abschluss, die Akten wurden nach Rom überstellt. Ebenfalls 1972 wurde sein Grab vom Glasnevin-Friedhof in die Kirche Our Lady of Lourdes, Seán MacDermott Street, übertragen, in demjenigen Dubliner Stadtteil, in dem Talbot sein Leben verbracht hatte. Sein Sarg ist dort hinter Glas sichtbar. 1975 erklärte ihn Papst Paul VI. zum Ehrwürdigen Diener Gottes – zu seiner Seligsprechung fehlt lediglich ein anerkanntes Wunder auf seine Fürsprache. 1978 wurde im Dubliner Stadtzentrum die Talbot Memorial Bridge über der Liffey eröffnet. An ihrem Südende steht seit 1988 ein Denkmal Talbots.

Bei nordamerikanischen Katholiken, die beruflich oder als Betroffene mit Alkoholmissbrauch zu tun haben, ist die Verehrung Talbots sehr verbreitet. In den USA tragen einige Einrichtungen der Suchtberatung und -hilfe seinen Namen. In Sydney, Australien, versorgt das 1938 gegründete Matthew Talbot Hostel täglich 600 obdachlose Männer mit einer warmen Mahlzeit.

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